Schattenmenagerie
Und wenn ich richtig informiert
bin, gehört er dem Stiftungsrat an. Ein gebildeter Mann. Man sagt, er kenne sich
gut mit der Geschichte des Herrschaftshauses aus. Über seine Herkunft kann ich nichts
sagen.«
Hm, nach seiner Herkunft habe ich
dich doch gar nicht gefragt, dachte Kroll. Er fuhr sich mit dem Nagel seines linken
Daumens über die Stirn. Das machte er immer, wenn er scharf nachdachte. Auch das
hatte er von Inspektor Columbo kopiert, den er wegen seines Scharfsinns sehr verehrte.
Woher weiß Diabelli, dass sich jemand für die Herkunft dieses Romanowsky interessiert?
Es ist zu vermuten, dass der Verwalter sich hier schon ausgiebig umgeschaut hat
und Stolbergs Notiz kannte.
Kroll beschloss, hier mit seinen
weiteren Nachforschungen anzusetzen. An einem Besuch von Stolbergs Wohnung lag ihm
jetzt nichts mehr. Auch das könnte Hopfinger übernehmen. Diabelli und Romanowsky
interessierten ihn jetzt mehr.
Er lehnte sich auf dem Schreibtischsessel
zurück, verschränkte seine Arme und tat so, als würde er nachdenken. In Wirklichkeit
wollte er den Verwalter durch sein Schweigen irritieren. Der ging immer unruhiger
im Raum auf und ab, wobei er jedes Mal um den Sonnenfleck herumschritt. Endlich
verlor er die Geduld.
»Ist noch was? Ich hab noch andere
Pflichten, als hier meine Zeit sinnlos zu vertrödeln.«
»Schon gut.«
Kroll wachte aus seinen Träumereien auf. Gleichwohl hatte er deutlich die innere
Unruhe seines Gegenübers gespürt.
»Danke, Sie
haben mir sehr geholfen. Ich werde veranlassen, dass der Raum polizeilich versiegelt
wird. Ich bitte Sie und Ihr Personal, das zu respektieren.« Diabelli schluckte seinen
Ärger herunter und schwieg indigniert. Aber Kroll kümmerte sich nicht länger um
ihn, ließ ihn einfach links liegen und wandte sich seiner Nichte zu: »Ich denke,
wir können wieder runtergehen. Was meinst du, Micha?«
»Hier ist es
langweilig. Ich will lieber den Rittersaal und die Gemächer der Königin sehen.«
Sie schaute aus dem Fenster heraus. Unten hatte das Orgelspiel aufgehört.
»Eine Königin gibt es hier nicht,
allenfalls eine Herzogin«, wandte Diabelli wichtigtuerisch ein. »Wenn Sie mir dann
wieder nach unten folgen wollen.«
Als sie wieder unten im Schatten
des Torhauses standen, sahen sie, wie aus der gegenüberliegenden Ecke des Innenhofs
eine Schar Kinder unbekümmert schwatzend hervorströmte. Zwei Jungen spielten übermütig
mit einem Fußball und näherten sich dem Torhaus. Der Verwalter schnauzte sie mürrisch
an: »Hey, ihr beiden da! Her mit dem Ball! Hier ist das Ballspielen verboten.«
Das fröhliche Schwatzen hörte abrupt
auf. Einer der Jungen lieferte den Ball mit zerknirschtem Gesicht ab. Die Kinder
drängten sich verschüchtert an dem Verwalter vorbei. Sie schauten aus den Augenwinkeln
zu Micha hinüber. Wer war das fremde Mädchen, das so völlig furchtlos neben Diabelli
stand? Schnell waren sie über die Brücke in Richtung Schlosspark verschwunden.
»Sie erlauben«, sagte Kroll zum
Verwalter und nahm ihm den Ball aus der Hand. »Das ist Beweismaterial, das ich beschlagnahmen
muss.« Er gab Micha den Ball. »Halt ihn gut fest. Wir werden ihn im Labor genauestens
untersuchen müssen. Fingerabdrücke, DNS-Test usw. Du weißt schon.«
Dann nahm er sie am Arm und verließ
den Torgang, ohne sich von Diabelli zu verabschieden. Er spürte förmlich, wie sich
dessen hasserfüllter Blick in seinen Rücken bohrte. Aber das war ihm egal.
Micha auch. Draußen auf dem Schlossvorplatz
schlug er ihr vor: »So, ich werde jetzt in das Büro der örtlichen Kripo gehen. Das
ist zu langweilig für dich. Geh in den Schlosspark und bring den Kindern den Ball
zurück. Spiel ein wenig mit ihnen. Vielleicht erfährst du ja irgendwas Interessantes.
In zwei Stunden treffen wir uns am Denkmal auf dem Marktplatz. Das ist dort drüben,
die Gasse hinauf. Dann lad ich dich zu einem Eisbecher ein. Ansonsten bleiben wir
über Handy in Kontakt.«
Micha war einverstanden. »Onkel
Michel, hast du die Finger von diesem Mann gesehen? – Ganz lang und knochig. Und
ganz lange, scharfe Fingernägel, lackiert und gepflegt. Wie die Krallen eines Raubvogels.
Der Kerl hat doch noch nie irgendeine Arbeit angefasst. Wundert mich, dass er dann
Verwalter geworden ist. – Und hast du gesehen, dass er es immer vermied, in die
Sonne zu treten, so als hätte er vor ihr Angst, – oder vielleicht auch vor seinem
eigenen Schatten.«
»Stimmt, gut beobachtet. Du wirst
bestimmt mal eine erfolgreiche
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