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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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hätte kein Recht darauf,
ihn euch wegzunehmen. Ich hab euch gesucht, denn es tat mir leid, dass ich euch
nicht gleich helfen konnte.«
    Ein länglicher, schmaler Junge,
der sofort aufgesprungen war, um den Ball zu fangen, sprach sie schüchtern an:
    »Schon gut. Kannst dich zu uns setzen.
– Und danke, dass du das mit dem Ball geregelt hast.«
    Micha nahm neben ihm Platz und grüßte
in die Runde: »Ich bin die Micha aus Lübeck.« Wichtigtuerisch fügte sie hinzu: »Ich
muss meinem Onkel helfen, einen Mörder zu fangen.«
    Die Kinder horchten auf und schauten
sie ungläubig an. Einen Mörder hier in der Provinzstadt, wo es allenfalls Wilderer
gab?
    »Ja, es geht um den mysteriösen
Tod eines gewissen Stolberg, der auf Mallorca bei einer Bergwanderung ums Leben
gekommen ist.«
    Ein Mädchen mit frechen Sommersprossen
im Gesicht erwiderte:
    »Wissen wir, stand bei uns groß
in der Zeitung. Aber von Mord war keine Rede!«
    »Ja, Onkel Michel ist sich da auch
noch nicht sicher. Er meinte, man solle das nicht voreilig verbreiten, weil der
Täter dann vielleicht gewarnt wäre. – Ihr müsst das also für euch behalten!«
    »Geht klar. Für den alten Stolberg
tun wir’s gern. Er war immer nett zu uns. Wir haben vorhin seinetwegen eine kleine
Trauerfeier in der Schlosskapelle abgehalten. Dieser widerliche Verwalter hatte
uns das zwar verboten, aber der Herzog erlaubte es dann doch. Sogar, dass wir die
Orgel benutzen durften.«
    Der schlaksige Junge fiel dem Mädchen
mit den Sommersprossen ins Wort:
    »Ja, das waren wir ihm schuldig.
Er ist ziemlich reich und hat hier in Eutin viel für die Jugend getan. Unser Jugendtreff
in der Innenstadt zum Beispiel, wo wir einen eigenen Übungskeller haben. Ich spiele
nämlich in einer Band, musst du wissen. Wir sind auch schon mal beim Lübecker Band
Contest im Werkhof aufgetreten. Die U-Teens, vielleicht hast du schon was von uns
gehört. Ich bin Antonio, der Schlagzeuger.«
    Ein Mädchen neben ihm boxte ihn
in die Seite.
    »Nun gib mal nicht so an! So toll
seid ihr ja nun auch nicht. Ich fand die Gruppe Merry Blend von der Thomas-Mann-Schule
besser. – Und überhaupt bist du ziemlich unhöflich. Du hast uns der Neuen noch gar
nicht vorgestellt.«
    Sie zeigte in die Runde. »Also,
wir hier sind der 1. FC Eutin.«
    Micha staunte. »Ihr seid ein Fußballclub?
– Jungen und Mädchen zusammen?«
    Helles Gelächter in der Runde.
    »Nein, FC kommt von Freigänger-Club.
Wir wohnen alle im KWB. Und weil wir manchmal Lust haben, etwas auf eigene Faust
zu unternehmen, hau’n wir einfach ab und treffen uns hier im Schlosspark. Wir wollen
auch mal freihaben von der Schule und den Erziehern, so ähnlich wie die Freigänger
im Knast. Daher der Name.«
    Micha konnte das gut verstehen.
Sie musste an ihre eigene Schule denken, wo sich ihre Klassenkameraden um diese
Stunde unter der Fuchtel der gebundenen Ganztagsschule ducken mussten. Dann hakte
sie nach: »Und KWB: Was ist das denn schon wieder?«
    »Das Kinderhaus für Waise und Behinderte.
Das liegt jenseits vom Park, da oben bei den Kasernen. Das hat übrigens auch der
Stolberg gestiftet, und wir fühlen uns eigentlich ganz wohl da drin. Klingt für
dich vielleicht komisch. Aber es ist kein Knast, wie du aus unserem Clubnamen vielleicht
schließen könntest. Wir haben das mit dem Namen nur so aus einer Laune heraus gemacht.
Wir wohnen dort, bekommen eine gute Ausbildung, und man hilft uns, unser eigenes
Leben zu führen.«
    »Wieso Behinderte? Ihr seht nicht
gerade aus, als wenn ihr eine Macke hättet.«
    »Wenn du ’ne
Zicke bist, kannst du gleich wieder verschwinden!«, fauchte ein etwa 18-jähriges
Mädchen, das bislang scheinbar geistesabwesend Micha gegenüber saß. Sie hob beim
Sprechen den Kopf nicht. »Ich zum Beispiel bin behindert, und ich glaube kaum, dass
ich deswegen eine Macke habe oder ein schlechterer Mensch bin als du.«
    Micha schämte
sich ihrer unglücklichen Ausdrucksweise. »Ich hab’s nicht so gemeint. Ich dachte
nur, Behinderte haben einen Stock oder so was.«
    Antonio, der
Junge mit dem Ball in der Hand, wollte vermitteln. »Weißt du, das ist so. Viele
von uns sind Waisenkinder, so wie ich. Und die da drüben, die Viviana, ist darüber
hinaus auch noch blind. Da wirst du verstehen, dass sie sauer ist, wenn jemand so
abfällig über uns redet.«
    Micha nahm ihm den Ball aus der
Hand, erhob sich, setzte sich neben die blinde Viviana und drückte ihr den Ball
in die Hand.
    »Entschuldige, das war wirklich
blöd von

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