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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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auf den Parkbänken beobachteten
verträumt das verwirrende Spiel der lila Schattenschlangen, die die Sonne auf den
Fußweg malte. Überall duftete es nach Frühling.
    Eine Kindergartengruppe kreuzte
Michas Weg. Unbekümmert schwatzend watschelten die Kleinen, sich in Zweiergruppen
an den Händen haltend, im Gänsemarsch über den Rasen. Die Erzieherinnen hatten nichts
dagegen, schließlich stand nirgends ein Schild ›Rasen betreten verboten‹, so wie
es Micha vom Stadtpark vor ihrer Haustüre kannte. Also traute sie es sich ebenfalls
und schlenderte ziellos über die Grünfläche.
    Ein wenig enttäuscht stellte sie
fest, dass fast nichts mehr von dem schönen barocken Lustgarten, den sie auf dem
alten Stich gesehen hatte, übrig geblieben war. Sie wusste nicht, dass sich die
Vorstellung von einem Herrschaftsgarten im Laufe der Zeit gewandelt hatte. Gegen
Ende des 18. Jahrhunderts brach der damalige Schlossherr mit dem Ideal des gekünstelten
Barockgartens. Statt Pomp und Prunk sollte die Natur nunmehr unverbildet nachgezeichnet
werden.
    An der höchsten Stelle des Gartens
erreichte Micha den Sonnentempel, einen offenen Rundbau, dessen strahlenförmig angelegter
Fußboden ein Sonnensymbol andeutete. Der Steinboden entpuppte sich als idealer Ort
zum Prellballspielen. Als Micha das schließlich zu langweilig wurde, legte sie den
Ball auf den Rasen und drehte ein paar Pirouetten nach einer Musik, die nur in ihrem
Kopf existierte. Hier fühlte sie sich wieder wie eine Märchenprinzessin. Die Begegnung
mit dem finsteren Schlossverwalter war schnell vergessen.
    Ein Stückchen weiter stieß Micha
auf ein kleines Mausoleum aus Tuffstein. Ihr gefiel das kleine Gebäude nicht. Es
sah so traurig und etwas heruntergekommen aus. Sie wusste nicht, dass es früher
die Büsten der Philosophen Seneca und Aratos von Soloi beherbergte. Heute ist es
dem Komponisten Carl Maria von Weber gewidmet, der im Jahre 1786 in Eutin geboren
wurde. Doch das Verhältnis der Stadt zu seinem wohl berühmtesten Sohn ist anscheinend
nicht einfach. Seine Büste wurde vor einiger Zeit geklaut. Offenbar gibt es in der
Stadt leidenschaftliche Andenkensammler unter den Weber-Fans, – aber auch kein besonders
ausgeprägtes Interesse seitens der Stadtväter, für Ersatz zu sorgen.
    Oder ihnen fehlte das Geld. Ihnen
genügte es, wenn der Name Weber während der Eutiner Festspiele Geld in die Stadtkasse
einspielte. Der Tatort dieser Vergnügungen, die berühmte Freiluftbühne, war schnell
erreicht. Sie thront an der Spitze einer Landzunge, die direkt auf die Fasaneninsel
zeigt. Mit Blick auf die idyllische Naturkulisse erleben hier in der Sommersaison
Tausende von Besuchern schönstes Musiktheater. Vor allem Webers Freischütz erklingt
fast jedes Jahr.
    Doch jetzt, außerhalb der Saison,
machte das Stahlgerüst samt den verwitterten, leeren Plastikstuhlreihen, den brutalen
Absperrgittern und den hilflos in den Himmel ragenden Beleuchtungstürmen einen skurrilen
Eindruck. Ein idealer Drehort für einen Fernsehkrimi.
    Davor gähnt ein verwildertes und
schmutziges großes Loch, der Orchestergraben. Wo während der Festspielabende die
herrlichste Musik geboren wird, um den ganzen Schlossgarten und seine Besucher mit
ihren Klängen zu verzaubern, kriechen nun müde ein paar Spinnen durch das vermoderte
Laub und den Unrat, den der Winter hinterlassen hat. Jenseits des Orchestergrabens
liegt die eigentliche Bühne. Sie besteht lediglich aus einer etwas abgeschrägten
Rasenfläche. Während der Spielzeit dienen ein paar karge Holzwände als Bühnenbild.
Die Darsteller müssen sich, wenn sie keinen Auftritt haben, hinter den seitlichen
Bäumen und Büschen verstecken.
    Doch heute gastierte auf dieser
Bühne eine ganz seltsame Truppe. Michas Herz klopfte schneller, als sie die kleine
Schar entdeckte, die es sich auf dem Rasen bequem gemacht hatte. Es handelte sich
um die Kinder, die der Schlossverwalter vorhin so grob aus seinem Revier verscheucht
hatte.
    Zögerlich näherte sich Micha ihnen,
den Ball etwas verkrampft in den Händen haltend. Als die Kinder sie bemerkten, brach
schlagartig eiskaltes Schweigen aus. Schließlich war sie doch die Göre, die auf
der Seite des verhassten Verwalters stand. Und dann hielt sie auch noch den Ball
in der Hand, der eigentlich ihr Eigentum war.
    »Hier, – soll ich euch zurückgeben!«,
rief Micha über den sie trennenden Orchestergraben hinweg und kickte den Ball gekonnt
mitten in die Gruppe. »Mein Onkel meint, der Verwalter

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