Schattenmenagerie
Geistlichen brach sich mit einem kurzen Echo
an den alten Steinmauern. Die Luft flimmerte. Durch eines der engen Kirchenfenster,
die der Kapelle den Charakter einer Wehrkirche gaben, drangen grelle Sonnenstrahlen
wie Dolchstiche hinein und warfen ein buntes, scharfumrissenes Abbild von einem
kunstvoll gestalteten Glasmosaik, das eine Geschichte aus dem Leben Jesu erzählte.
Der Pfarrer erschrak,
als er das verzerrte Scheinbild sah. Wie ein unheilvolles Stigma brannte es sich
in den Boden, genau vor den Füßen des Brautpaares.
Er wollte gerade
zur ewig gleichen Frage ansetzen, als sich ihm gegenüber die Kirchentür einen Spalt
weit öffnete. Unwillig drehten sich die Gäste auf den hinteren Bänken um. Vorne
hatte man noch nichts mitbekommen.
Im Gegenlicht
zeichnete sich eine Frauengestalt ab. Sie stand bewegungslos da. Wie ein Scherenschnitt,
wären da nicht die wild wehenden Haare gewesen. In ihrer herabhängenden rechten
Hand hielt sie ein dolchartiges Messer, einen Hirschfänger. Die scharfe Klinge funkelte
im schräg einfallenden Sonnenlicht. An der anderen Hand hielt die Frau das Pferd
am Zügel, mit dem sie hergeritten war, einen Russischen Traber.
Kaum war sich
der Geistliche der Situation bewusst, da schoss draußen plötzlich und mit aller
Gewalt ein Donnerblitz durch die Luft, als wollte er den Weltuntergang verkünden.
Die Menschen in der Kapelle erschraken zutiefst und duckten sich instinktiv.
Bis auf Caoba,
die immer noch regungslos im Türrahmen stand.
Ein heftiger
Windstoß verhakte sich in der Tür und ließ sie brutal an die Außenwand knallen.
Mit einem Schlag war die Hölle los. Draußen wie drinnen.
Die feinen Zirruswolken
hatten einer schmutzigbraunen Böenwalze Platz gemacht, die das Tal rasch in einen
gespenstischen Hexenkessel verwandelte. Fürchterliche Wassermassen ergossen sich
über die Senke, als wollten sie die Sintflut einleiten. Jetzt begann eine nicht
enden wollende Serie zuckender Blitze, die wahllos in die Buchenwälder einschlugen.
Einige Bäume
fingen trotz des heftigen Regens Feuer. Der Brandgestank vermischte sich mit Geruch
von fauliger Erde. Abgebrochene Äste wirbelten durch die Luft. Bäume stürzten ins
Tal und versperrten Wege und Pfade. Von den Bergrücken rauschten wahre Wildbäche
ins Ukleital. Schnell stand die Wiese knöcheltief unter Wasser.
Unter den Hochzeitsgästen
brach Panik aus. Die in den hinteren Reihen stürzten, ohne aufeinander Rücksicht
zu nehmen, durch die schmale Kirchentür und rannten sinnlos und in der hereingebrochenen
Dunkelheit orientierungslos über die Wiese. Einige versuchten, die glitschigen Abhänge
hinaufzugelangen. Doch sie rutschen immer wieder aus, und so manch einer versank
für immer in den braunen Fluten der Wildbäche oder wurde durch herunterkrachende
Bäume erschlagen.
Nachdem sich
die Kirche etwa zur Hälfte geleert hatte, schlug jemand vor, die Türen zu verrammeln,
damit das Wasser, das inzwischen über die Türschwelle schwappte, nicht eindringe.
Man verbarrikadierte sich behelfsmäßig. Aber das Wasser drang erbarmungslos in das
Kircheninnere. Langsam, aber unwiderstehlich.
Das ›Tor zum
Paradies‹ war zu einer Falle geworden. Alles ging jetzt schnell und unberechenbar.
Das Tal hörte auf zu existieren, so stark wütete das Unwetter. Die Mulde füllte
sich rasch zu einem anschwellenden See.
Alle in der Kirche
ertranken. Auch der Pastor.
Kriebgans, dem
es gelungen war, rechtzeitig nach draußen zu kommen, hatte ein paar Leute um sich
geschart, und es gelang ihm, mit letzter Kraftanstrengung hoch zum Jagdschloss zu
gelangen, wo sie vor den sintflutähnlichen Regenmassen in Sicherheit waren. Die
Herzogsfamilie gehörte dazu. Völlig durchnässt und von oben bis unten mit Schlamm
besudelt, warfen sie sich erschöpft auf die kostbaren Konzertstühle. Viele bluteten
und waren mit bösen Schürfwunden und Beulen bedeckt.
Von Romanowsky
fehlte jede Spur. Irgendjemand berichtete, dass er gesehen habe, wie sich der Pächter
im Gegensatz zu allen anderen Flüchtenden ostwärts hoch zum alten Slawenwall, der
sich auf einem Hügel gegenüber dem heutigen Jagdschloss befand, durchgekämpft habe.
Caoba ahnte sehr
früh von der Katastrophe. Die plötzliche Unruhe der Pferde sprach eine deutliche
Sprache. In dem Augenblick, als sie, im Türrahmen der Kapelle stehend, den ersten
Donnerschlag vernahm, wusste sie, was die Stunde geschlagen hatte. Sie fasste blitzschnell
ihren Entschluss. Sie nahm ihr Pferd kurz an die Zügel
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