Schattennacht
weiteres Buch derselben Autorin. Diesmal ging es um einen von seinen Artgenossen verbannten Mäuserich mit viel zu großen Ohren, der eine Prinzessin rettete.
Die Maus hatte weniger Wirkung auf Knoche als der Hase, aber er fand sie auch ganz großartig. Er liebte sie wegen ihres Muts und wegen ihrer Bereitschaft, sich aus Liebe zu opfern.
Drei Monate, nachdem er zum ersten Mal die Geschichte über den Porzellanhasen gelesen hatte, vereinbarte Knoche ein Treffen mit dem FBI. Dabei bot er an, sich als Kronzeuge gegen seinen Boss und einen Haufen weiterer Ganoven zur Verfügung zu stellen.
Er verriet seine Komplizen nicht nur, um sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen, sondern auch, weil er das kleine Mädchen retten wollte, dem er die Hasengeschichte vorgelesen hatte. Er hoffte, es vor dem kalten, lähmenden Leben zu bewahren, das es als Tochter eines Mafiabosses geführt hätte und das es täglich immer stärker eingesperrt hätte wie eine Mauer aus Beton.
Anschließend war Knoche ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen und nach Vermont geschickt worden. Sein neuer Name lautete Bob Loudermilk.
Vermont war ein zu starker Kulturschock. Die vielen Leute mit Birkenstocksandalen und Flanellhemden brachten Knoche auf die Palme, ganz zu schweigen von fünfzigjährigen Männern mit Pferdeschwanz.
Den schlimmsten Versuchungen der Welt versuchte er zu widerstehen, indem er sich eine wachsende Bibliothek von Kinderbüchern zulegte. Wie er dabei entdeckte, schienen manche der Autoren unterschwellig genau die Verhaltensweisen und Wertvorstellungen zu billigen, die er früher gehabt hatte. Das machte ihm Angst. Er konnte nicht genügend nachdenkliche Porzellanhasen und mutige Mäuse mit großen Ohren finden.
Als er eines Abends in einem äußerst mittelmäßigen italienischen Restaurant vor seinem Essen saß und sich nach New Jersey sehnte, fühlte er sich plötzlich zum Leben als Mönch berufen. Das geschah, kurz nachdem der Kellner ihm einen Teller mit üblen Gnocchi vorgesetzt hatte, die so zäh wie Karamellbonbons waren, aber diese Geschichte erzähle ich ein andermal.
Als Knoche in seiner Novizenzeit dem Pfad gefolgt war, der vom Bedauern zu absoluter Reue führte, hatte er das erste ungetrübte Glück seines Lebens gefunden. In der Abtei, der er nun noch immer angehörte, blühte er auf.
Während wir nun Jahre später in der Schneenacht saßen und ich überlegte, ob ich noch zwei Kopfschmerztabletten nehmen sollte, sagte er: »Diesem Pfarrer, er hieß Hoobner, tat es unheimlich leid, was man den Indianern angetan hat, wie sie ihr Land verloren haben und so weiter, und deshalb hat er ständig in deren Spielkasinos herumgesessen und Geld beim Blackjack verloren. Einen Teil hatte er sich zu ziemlich hohen Zinsen von Tony Martinelli geborgt.«
»Erstaunlich, dass der Schaumschläger ausgerechnet einem Pfarrer was geliehen hat.«
»Na ja, Tony dachte, wenn Hoobner die acht Prozent Zins pro Woche nicht aus der eigenen Tasche zahlen konnte, dann könnte er sie ja sonntags aus dem Klingelbeutel klauen. Nun hat sich aber rausgestellt, dass Hoobner zwar ständig im Kasino hockte und den Cocktailkellnerinnen in den Hintern kniff, aber geklaut
hat er nicht. Als er aufgehört hat, die Zinsen zu zahlen, hat Tony einen Typen zu ihm geschickt, der mit ihm über sein moralisches Dilemma diskutieren sollte.«
»Einen Typen, der aber nicht Sie waren«, sagte ich.
»Genau. Wir nannten ihn Nadel.«
»Ich glaube nicht, dass ich wissen will, wieso ihr ihn Nadel genannt habt.«
»Nein, das willst du wirklich nicht wissen«, pflichtete mir Knoche bei. »Jedenfalls hat Nadel dem Pfarrer eine letzte Chance gegeben zu bezahlen, aber statt auf diese Aufforderung mit christlicher Zerknirschtheit zu reagieren, hat Hoobner gesagt: ›Geh zum Teufel!‹ Worauf er eine Pistole gezogen und versucht hat, Nadel gleich selber auf die Reise zu schicken.«
»Der Pfarrer hat auf Nadel geschossen?«
»Vielleicht war er ja Methodist, kein Lutheraner. Ja, er hat auf Nadel geschossen, ihn aber bloß an der Schulter verwundet, und da hat der ebenfalls seine Kanone gezogen und Hoobner umgelegt. «
»Also war der Pfarrer zwar bereit, jemanden zu erschießen, aber stehlen wollte er nicht.«
»Also, ob das jetzt so ganz im Einklang mit der Lehre von den Methodisten steht, will ich nun nicht behaupten.«
»Schon klar, Sir.«
»Tja, wenn ich jetzt darüber nachdenke, war der Pfarrer eventuell doch eher von den Unitariern. Aber egal, er war ein Pfarrer und wurde
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