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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Stirn und der kantige Kiefer hätten ihm eigentlich eine grausame oder gar bedrohliche Wirkung verleihen sollen. In seinem früheren Leben hatte man ihn tatsächlich gefürchtet, und zwar aus gutem Grund.
    Zwölf Jahre im Kloster, Jahre voller Reue und Buße, hatten
Wärme in die einst eisigen Augen gebracht und in deren Besitzer eine Güte geweckt, die sein unvorteilhaftes Gesicht verwandelt hatte. Nun konnte man ihn mit seinen fünfundfünfzig Jahren fälschlich für einen Boxer halten, der zu lange im Geschäft geblieben war: Blumenkohlohren, Knollennase und die Demut eines im Grunde liebenswürdigen Rabauken, der auf die harte Tour gelernt hat, dass brutale Kraft noch keinen Champion ausmacht.
    Ein Klümpchen nassen Schnees rutschte an meiner Stirn und meiner rechten Wange hinab.
    »Mit deiner Schneemütze siehst du aus wie meine Tante Frieda. « Bruder Knoche ging aufs Badezimmer zu. »Ich hole dir ein Handtuch.«
    »Auf der Ablage steht ein Fläschchen Kopfschmerztabletten. So was brauche ich jetzt.«
    »Willst du ein Glas Wasser, um das Zeug runterzuspülen?«, fragte er, als er mit einem Handtuch und den Tabletten zurückkam. »Oder lieber ’ne Cola?«
    »Am liebsten wäre mir ein Oxhoft Wein.«
    »Zur Zeit vom heiligen Benedikt hatten die offenbar Lebern wie Stiere. Ein Oxhoft waren über zweihundert Liter.«
    »Dann brauche ich nur ein halbes Oxhoft.«
    Noch bevor ich mir das Haar ganz trocken gerubbelt hatte, brachte er schon eine Cola an. »Wie du die Treppe von Johns Klause hochgekommen warst, hast du dagestanden und den Schnee angegafft wie ein Truthahn, der mit offenem Schnabel in den Regen schaut, bis er ersoffen ist.«
    »Tja, Sir, ich habe eben noch nie im Leben Schnee gesehen.«
    »Und dann, zack, bist du wie ein Blitz um die Ecke vom Refektorium gesaust.«
    Ich ließ mich in einen Sessel fallen und schüttelte zwei Tabletten aus dem Fläschchen. »Ich hab jemand schreien gehört.«

    »Echt? Also, das hab ich nicht mitbekommen.«
    »Sie waren im Haus«, erinnerte ich ihn, »und haben allerhand Kaugeräusche gemacht.«
    Bruder Knoche setzte sich in den anderen Sessel. »Und wer hat da geschrien?«
    Ich spülte die beiden Pillen mit Cola hinunter. »Neben der Bibliothek lag einer der Brüder auf dem Boden. Zuerst hab ich ihn wegen seiner schwarzen Kutte gar nicht gesehen und wäre fast über ihn gestolpert.«
    »Wer war das?«
    »Keine Ahnung. Er lag mit dem Gesicht nach unten da. Ein schwerer Kerl. Als ich ihn umgedreht hab, konnte ich sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen – und dann hat jemand versucht, mich von hinten zu erschlagen.«
    Der Bruder sah so entrüstet drein, dass sich sein Bürstenhaarschnitt zu sträuben schien. »So was hat’s bei uns doch noch nie gegeben!«
    »Glücklicherweise hat mich der Knüppel – oder was immer es sonst war – bloß am Hinterkopf gestreift. Das meiste hat meine linke Schulter abbekommen.«
    »Das ist ja fast wie in New Jersey!«
    »Da kann ich nicht mitreden. Bin noch nie dort gewesen.«
    »Es würde dir gefallen. Selbst da, wo’s in New Jersey übel zugeht, ist immer gute Stimmung.«
    »Ich hab gehört, dass es da eine der größten Altreifendeponien der Welt gibt. Da sind Sie doch bestimmt mal dran vorbeigekommen, oder?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Ist das nicht traurig? Da wohnt man irgendwo und weiß oft über die tollsten Sachen in der Gegend nicht Bescheid.«
    »Soll das heißen, Sie hatten von der Deponie nicht mal gehört? «

    »Es gibt Leute, die haben ihr ganzes Leben in New York verbracht und waren noch kein einziges Mal auf dem Empire State Building. Wie geht’s dir überhaupt, Junge? Was ist mit deiner Schulter?«
    »Ich hab mich schon schlimmer gefühlt.«
    »Vielleicht solltest du zur Krankenstation gehen und Bruder Gregory rausklingeln, damit er deine Schulter untersucht.«
    Bruder Gregory war der Krankenpfleger. Er hatte ein entsprechendes Diplom.
    Weil die Klostergemeinschaft nicht groß genug war, um einen Vollzeitpfleger zu rechtfertigen – vor allem, da die Schwestern selbst jemanden aus ihrer Mitte für sich und die Kinder im Internat abgestellt hatten –, machte Bruder Gregory außerdem gemeinsam mit Bruder Norbert die Wäsche.
    »Das wird schon wieder, Sir«, beruhigte ich Bruder Knoche.
    »Sag mal, wer hat da eigentlich versucht, dir die Rübe einzuschlagen? «
    »Den hab ich leider nicht gesehen.«
    Ich erzählte, wie ich mich zur Seite gerollt hatte und ein ganzes Stück weit weggerannt war, weil ich glaubte,

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