Schattennacht
erschossen, also kann so was jedem zustoßen, selbst einem Mönch.«
Obwohl die Kälte der Winternacht mich noch nicht ganz verlassen hatte, drückte ich mir die kühle Dose Cola an die Stirn. »Bei dem Problem, das wir hier haben, sind Bodachs beteiligt. «
Weil Knoche zu meinen wenigen Vertrauten im Kloster gehörte,
erzählte ich ihm von den drei dämonischen Schatten, die an Justines Bett geschwebt hatten.
»Und bei dem Mönch, über den du fast gestolpert wärst, haben sie auch rumgelungert?«
»Nein, Sir. Die sind wegen etwas Größerem hier als wegen eines Mönchs, den man bewusstlos geschlagen hat.«
»Klingt logisch. So was ist nicht gerade was, das massenhaft Zuschauer anlockt.«
Er stand auf und ging zum Fenster. Eine kleine Weile blickte er in die Nacht hinaus.
»Ich frage mich …«, sagte er dann zögernd. »Meinst du, dass mich vielleicht endlich meine Vergangenheit einholt?«
»Das ist doch schon fünfzehn Jahre her. Sitzt der Schaumschläger nicht im Gefängnis?«
»Der ist im Knast gestorben. Aber ein paar von den anderen Burschen, die haben ein gutes Gedächtnis.«
»Wenn ein Killer hinter Ihnen her wäre, wären Sie dann jetzt nicht schon tot?«
»Mit Sicherheit. Dann würde ich schon auf ’nem ungepolsterten Stuhl im Wartezimmer vom Fegefeuer hocken und in alten Zeitschriften schmökern.«
»Eben. Deshalb glaube ich nicht, dass die Sache irgendwas mit dem zu tun hat, der Sie mal waren.«
Er wandte sich vom Fenster ab. »Dein Wort in Gottes Ohr. Das Schlimmste wäre, wenn jemand wegen mir zu Schaden käme.«
»Sie sind für alle hier ein echtes Vorbild«, versicherte ich ihm.
Sein raues, faltiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, das Leuten, die ihn nicht kannten, wohl Angst gemacht hätte. »Du bist ein guter Junge. Wenn ich ’nen Sohn bekommen hätte, fänd’ ich es schön, wenn der ein wenig wie du wäre.«
»So zu sein wie ich ist nichts, was ich irgendjemandem wünschen würde, Sir.«
»Aber wenn ich dein Vater wäre«, fuhr Bruder Knoche fort, »dann wärst du wahrscheinlich kleiner und dicker, und dein Kopf würde tiefer auf den Schultern sitzen.«
»Ich brauche sowieso keinen Hals«, sagte ich. »Ich trage nie Krawatten.«
»Doch, Junge, du brauchst einen Hals, damit du ihn recken und den Überblick behalten kannst. Das passt nämlich zu dir.«
»In letzter Zeit habe ich mir überlegt, ob mich lieber ein wenig ducken und Novize werden sollte.«
Er ging zu seinem Sessel zurück, hockte sich jedoch nur auf die Armlehne und betrachtete mich. Nach einem langen, nachdenklichen Blick sagte er: »Vielleicht wirst du eines Tages den Ruf hören, aber noch nicht bald. Du kommst aus der Welt draußen, und da gehörst du auch hin.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich in der Welt draußen leben muss.«
»Die Welt draußen braucht dich aber. Es gibt da Dinge, die du tun musst, Junge.«
»Davor habe ich ja Angst«, sagte ich. »Vor den Dingen, die ich tun muss.«
»Das Kloster hier ist kein Versteck. Wenn jemand, der was auf dem Kerbholz hat, herkommen und die Gelübde ablegen will, dann sollte er das tun, weil er sich für etwas öffnen will, das größer als die Welt ist, nicht weil er sich zusammenrollen will wie eine Kellerassel.«
»Vor manchen Dingen muss man sich einfach abschotten, Sir.«
»Du meinst den Sommer letztes Jahr, das Massaker im Einkaufszentrum. Dafür brauchst du bei niemandem um Vergebung bitten, Junge.«
»Ich wusste, dass etwas geschieht und dass sie kommen. Die Amokschützen, meine ich. Da hätte ich es schaffen sollen, sie aufzuhalten. Neunzehn Menschen sind ums Leben gekommen!«
»Jedermann sagt, ohne dich wären Hunderte gestorben.«
»Ich bin kein Held. Wenn die Leute von meiner Gabe wüssten und ihnen klar wäre, dass ich das Unheil trotzdem nicht aufhalten konnte, dann würden sie mich nicht als Held bezeichnen.«
»Na hör mal, schließlich bist du nicht der liebe Gott. Du hast alles getan, was in deiner Macht stand.«
Ich stellte die Coladose auf den Tisch, griff nach den Kopfschmerztabletten und schüttelte noch zwei in meine Handfläche. »Werden Sie jetzt den Abt aufwecken und ihm sagen, dass ich fast über einen bewusstlosen Mönch gestolpert bin?«, fragte ich, um auf etwas anderes zu sprechen zu kommen.
Er starrte mich an. Offenbar überlegte er, ob er mir erlauben sollte, das Thema zu wechseln. »Später vielleicht«, sagte er dann. »Zuerst werde ich mich mal inoffiziell umschauen. Vielleicht finde ich
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