Schattennacht
zusammenzubrechen, mit hohen weißen Wänden, die gewaltiger waren als die steinerne Abtei und die uns unter sich begruben, weich und doch alles in Fesseln schlagend.
12
Bruder Knoche und ich durchsuchten tatsächlich die Speisekammer und die angrenzenden Lagerräume, fanden jedoch keine Spur von Bruder Timothy.
Elvis bewunderte die Gläser Erdnussbutter, die aufgereiht auf einem der Regale standen. Vielleicht erinnerte er sich an die Sandwichs mit gebratener Banane und Erdnussbutter, die er zu Lebzeiten so gern gegessen hatte.
Eine ganze Weile hörten wir, wie Mönche und Polizisten die Flure, das Refektorium, die Küche und weitere Räume in unserer Nähe durchforschten. Dann verlagerte sich die Suche anderswohin, und es wurde still bis auf den Wind, der an den Fenstern rüttelte.
Da auch die Bibliothek inzwischen durchsucht worden war, zog ich mich dorthin zurück, um nachzugrübeln und dabei nicht weiter aufzufallen, bis die Polizei wieder abgefahren war.
Elvis begleitete mich, während Bruder Knoche sich einige Minuten an seinen Schreibtisch in einem der Lagerräume setzen wollte, um Rechnungen durchzuschauen, bevor er zur Messe ging. So besorgniserregend Bruder Timothys Verschwinden auch war, die Arbeit musste weitergehen.
Zu den zentralen Glaubenssätzen der Brüder gehört dies: Wenn die Zeit zu sterben gekommen ist, dann ist es genauso gut, bei einer ehrlichen Arbeit heimgeholt zu werden, wie während des Gebets.
In der Bibliothek schlenderte Elvis an den Regalreihen entlang und studierte die Buchrücken. Gelegentlich glitt er auch durch ein Regal hindurch.
Ab und zu hatte er schon zu Lebzeiten gern gelesen. Nachdem er früh berühmt geworden war, hatte er bei einem Buchladen in Memphis manchmal zwanzig Hardcovers gleichzeitig bestellt.
Die Abtei besaß etwa sechzigtausend Bände. Eine wichtige Aufgabe haben Mönche, besonders die Benediktiner, immer darin gesehen, das Wissen zu bewahren.
Viele mittelalterliche Klöster waren wie Festungen erbaut, auf Anhöhen, die nur einen einzigen, leicht zu verteidigenden Zugang besaßen. In dunklen, kriegerischen Zeiten, wenn die abendländische Zivilisation bedroht war, haben sie wiederholt unschätzbare Werte bewahrt, darunter die großen Werke der griechischen und römischen Antike.
Die Zivilisation – sagt mein Freund Ozzie Boone – existiert nur, weil es auf der Welt eine gerade noch ausreichende Anzahl von zwei Sorten Menschen gibt: solche, die mit der Maurerkelle in der einen und dem Schwert in der anderen Hand etwas aufbauen können, und solche, die daran glauben, dass am Anfang das Wort war, und die Kopf und Kragen riskieren, um jedes einzelne Buch wegen der Wahrheit zu bewahren, die es vielleicht enthält.
Ich wiederum bin der Meinung, dass auch ein paar Grillköche unerlässlich sind. Zu bauen, zu kämpfen und für eine gute Sache das Leben aufs Spiel zu setzen, erfordert eine gute geistigseelische Verfassung. Nichts fördert diese so wirksam wie eine gekonnt zubereitete Portion Spiegeleier mit knusprigen Bratkartoffeln.
Während ich wie Elvis ruhelos an den aufgereihten Büchern vorbeiwanderte, kam ich um eine Ecke und stand plötzlich Rodion Romanovich gegenüber, dem finsteren Russen, den ich zuletzt im Traum gesehen hatte.
Da ich nie behauptet habe, immer so souverän wie James Bond auftreten zu können, gebe ich ohne jede Verlegenheit zu, dass ich zurückschreckte und laut »Scheiße!« sagte.
Romanovich runzelte so stark die Stirn, dass seine buschigen Augenbrauen sich berührten. »Was ist denn mit Ihnen los?«, fragte er mit einem leichten Akzent.
»Sie haben mich erschreckt.«
»Das habe ich nicht getan.«
»Auf jeden Fall bin ich erschrocken.«
»Dann sind Sie daran selber schuld.«
»Es tut mir leid, Sir.«
»Was tut Ihnen leid?«
»Meine Sprache«, sagte ich.
»Ich spreche doch ebenfalls Englisch.«
»Ja, natürlich, sogar sehr gut. Auf jeden Fall besser, als ich Russisch spreche.«
»Sie sprechen Russisch?«
»Nein, Sir. Kein einziges Wort.«
»Sie sind ein merkwürdiger junger Mann.«
»Ja, Sir, das weiß ich.«
Mit seinen etwa fünfzig Jahren sah Romanovich nicht alt aus, doch die Zeit hatte sein Gesicht mit vielen Falten durchzogen. Über seine breite Stirn verlief eine Stickerei aus winzigen weißen Narben. Seine Lachfältchen wiesen nicht darauf hin, dass er in seinem Leben viel gelächelt hatte; sie waren tief und scharf wie alte, bei einem Schwertkampf empfangene Wunden.
»Ich wollte sagen, meine rüde
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