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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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zu werden statt von einem Punkrocker wie Sid Vicious. Der King war ein angenehmer Geist, der Sinn für Humor hatte und Rücksicht
auf mich nahm, auch wenn er gelegentlich unkontrollierbar in Tränen ausbrach. Schweigend natürlich, aber heftig.
    Weil die Toten nicht sprechen und auch keine Geräte bei sich tragen, um Textbotschaften zu senden, hatte ich lange gebraucht, um herauszubekommen, weshalb Elvis in unserer unruhigen Welt herumtrödelte. Zuerst hatte ich gemeint, er wolle nicht abreisen, weil diese Welt so gut zu ihm gewesen war.
    In Wahrheit sehnte er sich unheimlich danach, seine Mutter Gladys in der nächsten Welt wiederzusehen, zögerte jedoch, den entscheidenden Schritt zu tun, weil er sich gleichzeitig vor diesem Wiedersehen fürchtete.
    Nur wenige Männer hatten ihre Mutter so sehr geliebt wie Elvis seine. Sie war jung gestorben, und er hatte bis zu seinem eigenen Tod um sie getrauert.
    Nun fürchtete er allerdings, dass sie sich schämte, weil er nach ihrem Tod allerhand Drogen konsumiert und auch in so vieler anderer Hinsicht versagt hatte. Peinlich war ihm nicht zuletzt, auf welch scheußliche Weise er selbst gestorben war, an einer Überdosis verschreibungspflichtiger Medikamente und mit dem Gesicht in seinem eigenen Erbrochenen liegend. Dass dies der bevorzugte Abgang vieler Rock’n’Roll-Größen zu sein scheint, änderte daran gar nichts.
    Ich hatte ihm oft versichert, dort, wo Gladys ihn erwartete, gebe es keine Beschämung, keinen Zorn und keine Enttäuschung, nur Liebe und Verständnis. Dort werde seine Mutter ihn einfach in die Arme schließen.
    Bisher hatten meine Beteuerungen ihn leider nicht überzeugt. Natürlich gab es keinen Grund, weshalb sie das hätten tun sollen. Erinnert euch: Im sechsten Kapitel habe ich zugegeben, dass ich gar nichts weiß.
    Als wir nun den Verbindungsgang zum großen Kreuzgang betraten, sagte ich zu Bruder Knoche: »Elvis ist da.«

    »Ach ja? Aus welchem Film denn?«
    Das war seine Methode, um sich zu erkundigen, wie der King gekleidet war.
    Die anderen auf Erden verweilenden Geister erschienen nur in den Kleidern, die sie bei ihrem Tod getragen hatten. Zum Beispiel hatte Donny Mosquith, früher Bürgermeister von Pico Mundo, während eines ziemlich exotischen Liebesspiels mit einer jungen Frau einen Herzanfall erlitten. Bei solchen Unternehmungen hatte er sich gern mit Stöckelschuhen und Frauenunterwäsche ausstaffiert. Wenn Bürgermeister Mosquith nun so gekleidet mit seinen haarigen Beinen durch den Park stakste, der zu seinen Lebezeiten nach ihm benannt worden war, inzwischen aber den Namen eines Fernsehmoderators trug, gab er keinen besonders hübschen Geist ab.
    Elvis hingegen strahlte im Tod wie im Leben Coolness aus. Er trat in Kostümen aus seinen Filmen und Bühnenshows auf, die er offenbar nach Belieben auswählte. An jenem Tag trug er schwarze Stiefel, eine enge schwarze Smokinghose, ein knappes, offenes schwarzes Jackett, das ihm nur bis zur Taille reichte, einen roten Kummerbund, ein weißes Hemd mit Rüschen und ein extravagantes schwarzes Halstuch.
    »Es ist der Flamencodress aus Acapulco «, erklärte ich Bruder Knoche.
    »Mitten im Winter?«
    »Er spürt die Kälte nicht.«
    »Für ein Kloster passt das auch nicht gerade.«
    »Leider hat er keinen einzigen Mönchsfilm gedreht.«
    Während wir uns dem Ende des Flurs näherten, erschien Elvis an meiner Seite und legte mir den Arm um die Schultern, als wollte er mich trösten. Dieser Arm fühlte sich genauso real an wie der eines lebenden Menschen.
    Ich weiß nicht, weshalb Geister sich für mich so real anfühlen,
weshalb ihre Berührung warm und nicht kalt ist, obwohl sie durch Wände gehen und sich nach Belieben in Luft auflösen können. Das ist ein Geheimnis, das ich wahrscheinlich nie aufklären werde, aber solche Geheimnisse gibt es viele, zum Beispiel auch die Beliebtheit von Sprühkäse in der Dose und die Schnapsidee von William Shatner, sich nach seiner Karriere bei Raumschiff Enterprise wiederholt als Sänger zu versuchen.
    Auf dem weiten Hof des großen Kreuzgangs fuhr der Wind an den Mauern herab, peitschte körnigen Schnee durch die Luft und ließ Wolken weicheren Schnees vom Kopfsteinpflaster aufsteigen. Während wir auf die Küchentür im Südflügel zueilten, wurden wir kräftig gebeutelt, wenn uns nicht gerade eine Säule schützte.
    Wie eine bröckelnde Decke, von der Gips rieselte, senkte der Himmel sich auf das Kloster herab. Der ganze Tag schien über uns

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