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Schattennaechte

Schattennaechte

Titel: Schattennaechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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die Leute von ihr, normal zu sein? Warum sollte sie so tun, als wäre sie normal? Damit normale Menschen, die ein normales Leben führten, sich weniger schuldig fühlten, weil sie nicht an ihrer Stelle waren?
    Wir tun alles, um damit fertigzuwerden , hatte Anne gesagt. Es ist egal, was die anderen denken .
    Damit hatte sie ihr aus dem Herzen gesprochen, dachte Lauren. Sie hatte vor langer Zeit aufgehört, sich darum zu kümmern, was andere über sie und das, was sie sagte und tat, dachten. Sie wusste allerdings, dass sich Leah immer wieder für die brutale Offenheit ihrer Mutter schämte und dass sie andere Leute damit vor den Kopf stieß. Nicht jeder würde mit Anne Leone einer Meinung sein.
    Bump und Sissy Bristol waren die Einzigen gewesen, die während der »schlimmsten Zeit« – als würde es jemals wieder besser werden – zu Lauren standen. Bump hatte vorhin angerufen, um sich nach Leahs und ihrem Befinden zu erkundigen.
    »Hallo, Schönste, wie geht es meiner zweitliebsten Frau auf Erden?«
    »Hallo, Bump. Ganz gut.«
    »Das hört sich nicht besonders überzeugend an.«
    »An manchen Tagen ist es besser als an anderen«, log sie. Es gab keine besseren Tage. Alle Tage waren gleich, man musste sie einfach irgendwie überstehen.
    »Und wie geht’s meiner kleinen Patentochter?«
    Über Bumps Besitzansprüche gegenüber allen Frauen und Mädchen in seinem Umkreis amüsierte sie sich immer wieder – er kam ihr vor wie ein Löwe mit einem Rudel Löwinnen. Er hatte tatsächlich etwas von einem Löwen an sich: groß, kräftig, gut aussehend, sehr maskulin, mit einer wilden stahlgrauen Mähne und einer tiefen Stimme.
    »Sie übernachtet außer Haus«, sagte Lauren. »Sie hat eine Freundin gefunden.«
    »Du lässt sie woanders übernachten?«
    »Ja, aber es passt jemand auf sie auf.«
    »Das überrascht mich trotzdem. Dann geht es dir offenbar wirklich besser, mein Schatz.«
    »Mach dir keine falschen Hoffnungen. So richtig glücklich macht mich das Alleinsein nicht.«
    »Du solltest auch nicht allein sein, Lauren«, sagte er mit fester Stimme. »Sissy ist verreist, aber ich kann gerne kommen. In einer Stunde kann ich bei dir sein.«
    »Das ist nicht nötig, Bump.«
    »Kein Problem. Ich wollte sowieso mal wieder im Haus nach dem Rechten sehen. Du hast bestimmt schon eine lange Liste mit Dingen, die gerichtet werden müssen.«
    »Nein, es ist alles in Ordnung. Auch mit mir.«
    »Bist du sicher? Ich kann sofort losfahren.«
    »Nein, wirklich, das brauchst du nicht.«
    »Na gut, aber ich komm trotzdem bald mal vorbei. Ich hab Sehnsucht nach meiner kleinen Leah. Ich will sie zu einem Ausflug mitnehmen. Wir machen uns einen schönen Tag, nur sie und ich.«
    Bump war nach Leslies Verschwinden beinahe ebenso verzweifelt gewesen wie Lance und Lauren. An dem Tag, an dem sie Leahs Fahrrad und ihren Schuh gefunden hatten, saß er in ihrem Wohnzimmer und hatte Rotz und Wasser geheult.
    Seither hatte er sich liebevoll um Leah gekümmert, was ihr guttat, besonders seit dem Tod von Lance. Er ersetzte ihr ein bisschen den Vater.
    »Sie hat bald Geburtstag«, sagte er, als müsste man Lauren daran erinnern. »Wir sollten etwas ganz Besonderes unternehmen.«
    »Darüber wird sie sich bestimmt freuen.«
    Sie würden alle zusammen Leahs Geburtstag feiern und für ein paar Stunden so tun, als sei alles normal.
    Sissy war überzeugt, dass Lauren erst dann zur Normalität zurückfinden würde, wenn sie mit allem abschließen konnte. Lauren bezweifelte das.
    Was bedeutete abschließen zu diesem Zeitpunkt überhaupt?
    Leslie zurückzubekommen? Sie hegte immer noch eine gewisse Hoffnung, dass das geschehen könnte, aber abgeschlossen wäre damit nichts. Eine Tür würde sich schließen und eine andere öffnen. Es würde eine lange, lange Zeit der Heilung für Leslie beginnen – für sie alle.
    Würde es ein Abschließen sein, wenn man Leslies Überreste fände? Damit wäre eine Frage beantwortet, aber die Trauer würde ihr Dasein für den Rest ihrer Tage überschatten.
    Und wenn Roland Ballencoa seiner gerechten Strafe zugeführt würde?
    Was hieß gerechte Strafe?
    Sie dachte an die Stunde, die sie auf dem Schießstand verbracht hatte.
    Brust, Brust, Kopf, atmen …
    Tausendmal hatte sie ihm den Tod gewünscht. Zehntausendmal. Sie hatte sich vorgestellt, ihn zu Tode zu foltern, so wie er es vielleicht mit ihrer Tochter gemacht hatte. Sie hatte sich hundert verschiedene Todesarten ausgedacht. Zweihundert. Aber würde sie damit etwas

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