Schattennetz
Begriff, den Hörer aufzulegen, als er noch Simbachs Stimme hörte: »War ja nur eine gut gemeinte Empfehlung.«
38
Ursula Schanzel war eine energische Frau. Selbstbewusst und zielstrebig. Knapp über 40, schätzte Linkohr, vor allem aber ein kleines Energiebündel. Sie hatte den jungen Kriminalisten in die eingeschossige Villa am Nordwesthang hoch über der Stadt gebeten, war voraus in das Wohnzimmer geeilt und darauf bedacht, gleich zu erfahren, worum es ging.
Dass die Schanzels eine kleine Maschinenfabrik besaßen, war Linkohr beim Blick ins Telefonbuch klar geworden. Ihre Firma hatten sie vor einigen Jahren in das Gewerbegebiet einer Albgemeinde verlegt, um näher und verkehrsgünstiger an der Autobahn A 8 zu sein.
Das Wohnzimmer war in hellen Farben gehalten und im sachlichen Stil mit klaren Linien eingerichtet: Eine große weiße Ledercouch schloss sich an einen schlichten Kachelofen an. Der Blick ging durch eine breite Fensterfront weit in das sich Richtung Göppingen öffnende Filstal hinaus. Linkohr bemerkte, dass seine Gesprächspartnerin offenbar wenig Zeit hatte, aber bemüht war, ihre Ungeduld zu unterdrücken. Deshalb erklärte er in knappen Worten, dass es ihm ums Umfeld von Simbach und Korfus gehe, zumal – wie sie sicher gehört habe – vorige Nacht ein weiteres Verbrechen verübt worden sei. »Sie als Kirchengemeinderätin«, kam er schließlich zur Sache, »könnten in den vergangenen Wochen oder Monaten etwas gehört haben, was uns weiterhelfen könnte.«
»Ich muss Sie enttäuschen«, sagte die Frau distanziert und steckte ihre Hände in die Jackentaschen ihres grauen Hosenanzugs. »Wenn da etwas gewesen wäre, hätt ich es Ihnen längst berichtet.«
Linkohr hatte nichts anderes erwartet und überlegte, wie er diese eiskalte Mauer durchbrechen könnte. »Manchmal sind es ja die Kleinigkeiten, die uns weiterbringen. Ich mein, Herr Korfus ist immerhin Mitglied Ihres Gremiums. Da kann ich mir vorstellen, dass intern drüber nachgedacht wird, was da gewesen sein könnte – und warum man heut Nacht auf ihn und seine Frau geschossen hat.«
Ursula Schanzel legte ihre Beine übereinander und nahm ihre Hände wieder aus den Taschen. Sie hatte einen roten Kugelschreiber zum Vorschein gebracht und begann, mit ihm zu spielen. »Dass wir in den vergangenen Tagen nicht untätig waren, dürfen Sie voraussetzen«, erklärte sie kühl. »Schließlich stand auch Herr Simbach der Kirche nahe. Es ist dem guten Ruf nicht zuträglich, wenn so entsetzliche Dinge geschehen wie in den vergangenen Tagen. Dazu noch, wenn dies alles in der Presse rumgeschmiert wird.« Sie hob eine Augenbraue als Zeichen größten Abscheus. »Ich weiß nicht, ob Sie den Sander kennen. So ein Sensationsreporter. Geschmacklos und maßlos übertrieben, was ich in den vergangenen Tagen von dem gelesen hab. Ich versteh nicht, dass man in der Zeitung alles austreten muss. Immer nur das Negative.«
Linkohr sagte nichts dazu. Immerhin hatte sich sein Chef bisher stets positiv über Sanders Berichterstattung geäußert. Aber hier in der Provinz war es halt so üblich, dass man in der Heimatzeitung möglichst nur das Schöne lesen wollte, während gefälligst die schrecklichen Dinge des Lebens verschwiegen werden sollten – es sei denn, sie spielten sich weit entfernt ab. Dann konnten die Geschichten nicht blutrünstig und grauenvoll genug sein. Hauptsache, die heimische Umgebung blieb sauber und wurde nicht von den ›Zeitungsschmierern‹ beschmutzt. Linkohr erinnerte sich an Leserbriefe, in denen Sander oft schon in unqualifiziertester Weise attackiert worden war. Man hatte ihm mangelnde Recherchefähigkeit vorgeworfen und ihm nahe gelegt, den Griffel wegzulegen. Dies alles schoss Linkohr durch den Kopf, als Ursula Schanzel ihre Kritik abgab. Dann jedoch versuchte er, das Gespräch wieder in die gewünschte Richtung zu lenken. »Sie haben sich also in den vergangenen Tagen auch gewisse Gedanken gemacht. Sicher auch, weil Sie Frau Simbach persönlich kennen.«
Frau Schanzel stutzte. Sie hatte jetzt den Kugelschreiber in seine Bestandteile zerlegt. »Darf ich fragen, was diese Andeutung soll?«
»Sie ist ganz ohne Hintergedanken. Die Vermutung liegt doch nahe, dass Sie Frau Simbach auch persönlich kennen. Schließlich ist sie die Ehefrau zu einem Mann, der sich auch kirchlich engagiert hat. Nicht nur als Sponsor, sondern auch ehrenamtlich. So ist es doch?«
»Natürlich ist es so«, gab sie schnippisch zurück und mühte sich ab, die
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