Schattennetz
alles hinter sich lassen zu können: die verkorkste Ehe und die brodelnde Gerüchteküche, den Stress mit dem Geschäft und die Ungewissheit, die über allem schwebte. Nun aber schien es ihr so, als sei sie in einem Teufelskreis gefangen, aus dem sie nicht würde entrinnen können. Wenn Alexander tatsächlich keines natürlichen Todes gestorben sein sollte, dann war damit zu rechnen, dass die Polizei in ihrem persönlichen Umfeld zu ermitteln begann.
Silke hatte Kaffee gemacht und stellte sich und ihrer Mutter eine Tasse auf den Esszimmertisch. »Anton ist ein Kotzbrocken. Das weißt du doch.«
»Das wissen wir beide. Anton und Alexander stehen sich da in nichts nach.« Für einen kurzen Moment bedauerte sie diese Äußerung auch schon wieder. Schließlich war Alexander erst seit vier Tagen tot. Aber sie konnte beim besten Willen keine Trauer empfinden.
Auch Silke führte die Tasse zum Mund. »Vater hat sich hier nie zurechtgefunden«, erklärte sie dann. »Er hat alles gegen sich gerichtet gesehen. Manchmal hatte ich den Eindruck, er fühlte sich verfolgt.«
Sabrina zuckte mit den Schultern. »Anfangs hab ich noch gehofft, das würde sich ändern. Doch mit zunehmendem Alter … na ja, du weißt ja selbst, was er uns angetan hat.« Sie umklammerte die Kaffeetasse.
»Nicht nur uns«, meinte Silke. »Die Sache im Martin-Luther-Haus hat sich bis heute nicht beruhigt. Du brauchst dich ja nur umzuhören, was in der Stadt gesprochen wird.«
Sabrina schloss die Augen. Sie wollte nichts mehr davon wissen. Nie wieder. Ohnehin wusste sie nicht so genau, was damals, vor fünf Wochen, als in dem Gemeindehaus eine kulturelle Veranstaltung stattgefunden hatte, tatsächlich vorgefallen war. Alexander und Torsten, so hieß es jedenfalls, seien im Foyer heftig aneinander geraten und hätten sich verprügelt. Dass etwas dran sein musste, daran hatte sie nie gezweifelt, schließlich war Alexander mit einer blutenden Nase heimgekommen. Doch keiner der beiden Kontrahenten hatte verlauten lassen, worum es gegangen war. Fast schien es Sabrina so, als sei es ein ganz persönliches Geheimnis. Wären sie beide nicht so sehr in der Kirche engagiert gewesen, hätte dies vermutlich auch keinen interessiert. Doch die Dekanin verlangte Aufklärung. Allerdings war auch sie in den vergangenen Wochen wenig erfolgreich gewesen. Und nun würde Alexander sein Geheimnis mit ins Grab nehmen.
Sabrina schossen viele Dinge durch den Kopf. »Es wird bald noch viel mehr gesprochen in der Stadt«, knüpfte sie an Silkes Vermutung an. »Denn wenn er tatsächlich umgebracht wurde, wird Torsten gezwungen sein, etwas darüber zu erzählen.«
»Und was hat er bisher dazu gesagt?« Silke sah ihre Mutter kritisch von der Seite an.
»Was fragst du mich das? Woher soll ich das denn wissen?«
Silke schwieg und nahm einen kräftigen Schluck Kaffee. Ihre Mutter überlegte und meinte: »Vielleicht hat sie beide ihre Vergangenheit eingeholt.«
»Etwas Raffiniertes entdeckt?«, wiederholte einer der Kriminalisten, die im Lehrsaal des Polizeireviers gespannt darauf warteten, von Linkohr zu erfahren, welche Nachricht er gerade telefonisch erhalten hatte.
»Die Kollegen der Elektrotechnik haben im Glockenstuhl eine seltsame Entdeckung gemacht. Eine Schaltung, wie sie sie noch nie gesehen hätten.«
Häberle konnte zwar nachvollziehen, dass Linkohr die Spannung steigern wollte. Doch jetzt fand er sein Verhalten übertrieben. »Dann erzählen Sie es uns doch.«
Der Kriminalist sah in die Runde. »Immer, wenn der Antriebsmotor einer bestimmten Glocke eingeschaltet wird, steht das Metallgestänge des Glockenstuhls unter Strom.«
Überraschtes Schweigen. Häberle forderte seinen jungen Kollegen mit einer Kopfbewegung auf, weitere Informationen preiszugeben.
»Die Kollegen haben Manipulationen an der Verkabelung festgestellt. Nahezu fachmännisch gemacht. Denn dazu sei es notwendig gewesen, den Erdleiter zu entfernen – sonst hätts gleich einen Kurzschluss gegeben.«
»Wir werden uns das ansehen«, entschied Häberle. Die übrigen Kollegen bat er, sämtliche Personen ausfindig zu machen, die einen Schlüssel für die Kirche hatten. »Außerdem solltet ihr euch noch mal genau um die Todesursachen kümmern.« Er nickte den Kriminalisten lächelnd zu und verließ mit Linkohr den Raum. Noch unterm Türrahmen hielt er inne und drehte sich um: »Und lasst euch von dem Doktor in Ulm mal genau erklären, weshalb sich seine Geislinger Kollegen so getäuscht
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