Schattennetz
Er schaute in die Runde und fügte hinzu: »Und den Herren und Damen Doktoren kann man nicht mal einen Vorwurf machen. Wenn, wie bei Simbach, nichts auf eine Fremdeinwirkung hindeutet, werden sie wohl kaum den Staatsanwalt aufscheuchen wollen.«
Betretenes Schweigen. Dann bat Häberle, jemand solle bei Leichenbestatter Leichtle anrufen und sich sagen lassen, wie sich das mit Simbachs Handy verhalten habe. »Ich will wissen, ob beim Auffinden der Leiche ein Handy entdeckt wurde – und wenn ja, was mit dem Ding geschehen ist.« Ein älterer Kollege begann sofort, im Telefonbuch zu blättern.
»Dann hätte ich gerne gewusst«, fuhr der Chefermittler fort, »was sich über Simbach und diesen Torsten Korfus findet. Über ihre Vergangenheit daheim in Bischofswerda, vor, während und nach der Wende. Vielleicht gibt es auch alte Stasiakten – bei dieser ehemaligen Gauck-Behörde, die jetzt irgendwie anders heißt.«
»Birthler-Behörde«, rief Fludium dazwischen.
»Danke, ja«, erwiderte Häberle. »Habt ihr eigentlich schon jemanden ausfindig gemacht, der bei dieser Prügelei der beiden im Martin-Luther-Haus dabei war?«
»Ja, klar«, meldete sich ein Kollege. »Es war wohl keine richtige Prügelei. Nicht so, wie wir das ansonsten gewohnt sind. Die Zeugen, darunter übrigens die Garderobenfrau, berichten von einer zunächst verbalen Auseinandersetzung, die schließlich eskaliert sei. Simbach soll Korfus am Kragen gepackt und geschüttelt haben – und daraufhin sei Korfus ausgerastet und habe ihm mit der Faust auf die Nase geschlagen.«
»Und worüber haben die beiden sich gestritten?«
»Niemand hat den Anfang des Streits so richtig mitgekriegt. Es war ja gerade die Veranstaltung aus und im Foyer entsprechend viel los. Die Garderobenfrau glaubt sich jedoch zu entsinnen, dass Korfus geschrien haben soll: ›Du bist der größte Heuchler, den ich je kennengelernt hab‹. Oder so ähnlich. Und Simbach habe sinngemäß voller Zorn, zwar leise, aber für die Frau gut hörbar gesagt, es sei schade, dass sie ihn damals nicht auch eliminiert hätten.«
»Wer?«, fragte Häberle. »Wer wen nicht eliminiert?«
»Lässt sich nicht sagen.« Um dies zu unterstreichen, wiederholte der Kollege das soeben Gesagte: »Es heißt nur, es sei schade, dass sie ihn nicht auch eliminiert hätten.«
»Und dann? Was ist dann geschehen?«
»Schlag auf die Nase«, erwiderte der Kriminalist stichwortartig. »Und das wars.«
Eine andere Stimme meldete sich: »Leichtle sagt, dass er das Handy an Faller weitergegeben hat.« Es war der Kollege, der mit dem Leichenbestatter telefoniert hatte. »Wohin es Faller getan hat, daran kann sich Leichtle nicht mehr erinnern. Er meint aber, Faller habe es in die Hosentasche gesteckt.«
»Dann bitt ich euch, noch heute Abend die richterliche Anordnung zur Einholung der Verbindungsdaten von Simbachs Handy beizubringen«, beschloss Häberle, der sich inzwischen in den Türrahmen gelehnt hatte. »Von Simbachs Handy«, wiederholte er, »und von Fallers Festnetzanschluss.« Er sah in den Gesichtern, dass sich Skepsis breitmachte. Es würde nicht einfach sein, den diensthabenden Amtsrichter von der Notwendigkeit dieser Maßnahme zu überzeugen. Häberle setzte trotzdem noch eins drauf: »Und beantragt dies auch gleich für die Telefone – Handy und Festnetz – dieses Herrn Korfus.«
»Aber gegen den können wir doch erst recht nichts vorweisen«, schaltete sich einer aus der Runde ein.
»Die Prügelei mit dem Mordopfer – ist das nichts?«, fragte Häberle und verzog das Gesicht zu einem dezenten Grinsen. »Außerdem will ich wissen, zu wem dieser Czarnitz Kontakte gehabt hat. Also auch seine Telefonverbindungen brauchen wir.«
Fludium meldete Bedenken an: »Und wie wollen Sie das ohne dringenden Tatverdacht begründen? Ich weiß nicht, welcher Richter heut Abend Bereitschaftsdienst hat – aber wenns wieder nur ein Familienrichter ist … Oder einer von auswärts?«
»Dann sagen Sie ihm, dass wir einen ganzen Sumpf trockenlegen wollen«, unterbrach Häberle ungeduldig, aber freundlich.
»Einen Sumpf …?«
»Oder sollten wir besser Seilschaft sagen?«
21
Häberle hatte entschieden, Torsten Korfus sofort aufzusuchen. Der würde zwar jetzt, gegen 22.30 Uhr nicht mehr in seiner Kfz-Werkstatt anzutreffen sein, aber Linkohr machte ihn telefonisch in der Wohnung im Brunnensteig ausfindig. Das Wohngebiet befand sich jenseits der Bahnlinie, die hufeisenförmig am Stadtkern vorbeiführte, um auf diese
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