Schattennetz
warten.« Sie kämpfte mit den Tränen.
Georg Sander hatte den ganzen Tag über telefoniert und sogar die Garderobenfrau des Martin-Luther-Hauses ausfindig gemacht. Er würde zwar eine komplette Zeitungsseite füllen können, aber mehr als über mögliche Hintergründe und Zusammenhänge spekulieren konnte er nicht. Dass Czarnitz im Osten seine Projekte mit einem weithin bekannten Architekten eingefädelt hatte, der seinerseits schon mehrfach in die Schlagzeilen geraten war, musste nicht unbedingt etwas besagen. Sander wurde wieder einmal bewusst, wie eng in der Provinz die Beziehungsnetze geflochten waren. Schon machten auch wilde Gerüchte die Runde, militante Mobilfunk-Gegner hätten im Kirchturm an den Sendeanlagen manipulieren wollen. Andere beharrten darauf, die Verbrechen müssten mit dem Stadtfest zu tun haben, weshalb sie argwöhnten, im Rathaus und natürlich im Dekanat werde versucht, die wahren Hintergründe zu verschleiern. An all dies mochte Sander nicht glauben, denn nach seinen Recherchen war ihm mehr und mehr klar geworden, dass diese Kleinstadt zwar den Tatort bot, die Motive dazu aber vermutlich ganz woanders zu suchen waren. Als der Journalist auf dem Weg zur Pressekonferenz in den Lehrsaal der Feuerwehr war, musste er an Häberles große Fälle aus jüngster Vergangenheit denken. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Ermittler auf Dienstreise gehen würde.
Am Treppenaufgang zum Lehrsaal wurde Sander von Stadtbrandmeister Emil Strohsacker begrüßt, der als Hausherr die Besucher willkommen hieß. Der Journalist wechselte mit dem uniformierten Feuerwehrchef ein paar freundschaftliche Worte. Sie beide verband eine manchmal zwar raue, aber meist doch herzliche Freundschaft. Sander hatte es längst verkraftet, dass der oberste Feuerwehrmann der Stadt bei einem Brand natürlich zunächst Wichtigeres zu tun hatte, als die Presse zu informieren. Doch meist schon ein paar Minuten später war Strohsacker ein angenehmer Gesprächspartner, der sehr wohl um die Wirkung einer ausführlichen Berichterstattung wusste.
Die Kollegen landesweiter Medien, die Sander flüchtig oder gar nicht kannte, hasteten nur mit einem knappen ›Hallo‹ an dem Kommandanten vorbei nach oben, wo die Plätze an den U-förmig aufgereihten Tischen nahezu alle belegt waren. Sander zählte knapp 20 Me-dienvertreter, darunter viele von privaten Radiostationen. Auch das Südwestfernsehen und der neue Regionalsender aus Ulm waren mit Videokameras anwesend.
Sander ging zielstrebig zum quer stehenden Tisch der ›Offiziellen‹ und begrüßte Pressesprecher Uli Stock, den Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Wolfgang Ziegler, die Kripochefin Manuela Maller sowie Kriminalhauptkommissar August Häberle. Heute war sogar der Kripo-Außenstellenleiter Rudolf Schmittke gekommen.
Nachdem Sander in der hintersten Reihe Platz genommen hatte, wie er das immer tat, um das Heer der wichtig tuenden Kollegen von auswärts überblicken und sich darüber amüsieren zu können, hieß Pressesprecher Stock die Anwesenden willkommen und erteilte das Wort dem Leitenden Oberstaatsanwalt. Der grinste in die Runde und zeigte sich von dem großen Medienauflauf überrascht. »Wenn Sie jetzt aber große Neuigkeiten erwartet haben, muss ich Sie enttäuschen«, kam er dann zur Sache. »Einen Täter können wir Ihnen nicht präsentieren.« Dafür, dass es also kaum etwas Neues gab, sprach er erstaunlich lange: Sechs Minuten, so stoppte Sander ab, erläuterte er den enormen personellen Einsatz und das große Engagement, mit dem die Sonderkommission in den vergangenen 24 Stunden eine Vielzahl von Personen im hiesigen wie auch im auswärtigen Bereich überprüft habe. Dann dankte er der Bevölkerung, die einige Hinweise gegeben hatte, wenngleich die erhoffte heiße Spur nicht darunter gewesen sei. Immerhin aber hätten sich einige Bürger gemeldet und den Schraubenzieher, der im Kirchturm gefunden worden war, als ein Relikt aus ehemaligen DDR-Zeiten identifiziert. Ob dies stimme, werde derzeit geprüft. Während die Journalisten eifrig mitschrieben und junge Radiopraktikantinnen wieder mal Mikrofone in die Höhe reckten, erwähnte Ziegler, dass Manuela Maller, die neben ihm saß, die Sonderkommission kräftig unterstütze und dafür sorge, dass einerseits für die Ermittlungen genügend Beamte abgestellt würden, andererseits aber noch ausreichend Personal fürs aktuelle Tagesgeschäft vorhanden sei.
Frau Maller lächelte. Als ihr das Wort erteilt wurde, lobte auch
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