Schattenpakt - Roland, L: Schattenpakt - Viper Moon (01 The Novel of the Earth Witches)
gesabbert hatte.
Als Michael wieder erschien, erklärte er mir, die Fahrt zum Polizeirevier für mich organisiert zu haben. »Ich hätte dich ja selber hingebracht, aber es ist wohl besser, wenn du dich nicht mit mir zusammen sehen lässt«, meinte er.
Ich stimmte ihm zu.
Ich nahm Nirah vom Tresen herunter und ließ sie wieder in die Tasche schlüpfen.
Michael trat zu mir und legte die Hände auf meine Schultern. »Bitte, glaub mir, wenn ich sage, dass ich dich liebe.«
»Ich glaube dir ja, aber …«
Die Tür sprang plötzlich auf, und Reverend Victor kam herein.
Ich erstarrte und sah ihn mit offenem Mund an.
»Guten Tag, Cassandra.« Vic wirkte ganz anders. Seine Stimme klang hart und abgehackt. »Ich bin hier, um meinem Bruder einen Besuch abzustatten. Es tut mir leid, dich hier zu sehen.«
»Bruder?« Er hatte mich schon vor Michael gewarnt, aber dass er sein Bruder war?
»Bruder«, sagte Victor. »Es ist schon eine Weile her, dass wir uns unterhalten haben.«
»Stimmt«, erwiderte Michael so ruhig, als würde er an einem ganz gewöhnlichen Tag im Erzengel stehen. »Da hatte ich wirklich Glück.«
»Was?« Das Wort sprang förmlich aus meinem Mund, als würde ich ein saures Bonbon ausspucken.
»O ja, Cassandra, der Erzengel und ich haben viel gemeinsam.« Victor lachte und wirkte wieder sehr zufrieden. »Ich habe dich doch vor ihm gewarnt, oder nicht?«
Ich musste schlucken. »Du sagtest, ich sollte ihm nicht meine Seele überlassen, was ich ohnehin nicht vorgehabt hatte, aber ich erinnere mich nicht daran, dass du etwas von einer Verwandtschaft erwähnt hättest.«
»Was meinst du wohl, woher ich genug über ihn weiß, um dich zu warnen?«, fragte Victor.
»Ihr seht nicht wie Brüder aus.« Ich sah die beiden an. Der eine groß, blond und gut aussehend und der andere klein, schmächtig und dunkel. Manchmal spielten die Gene einem schon böse Streiche.
»Das liegt daran, dass wir verschiedene Väter haben«, erklärte Victor jetzt ein bisschen ruhiger.
»Ein Glück, dass das so ist.« Michael stieß die Worte fast knurrend hervor.
»Michael ist böse auf mich, weil ich die Einnahmen des Familienbetriebs benutze, um für die Armen zu sorgen«, sagte Vic.
»Man nennt das Unterschlagung, Victor.« Michael kochte mittlerweile vor Wut. »Wenn ich dieses verdammte Hotel nächstes Jahr nicht verkaufe, werde ich Insolvenz anmelden müssen, und Mutter kann dann bei dir wohnen.«
»Du solltest nicht so verbittert sein, Michael.« Victor sprach mit sanfter Stimme, und es schwang keine Verärgerung darin mit, nur eine wohlüberlegte Wahrheit. »Mutter hat dich immer am meisten geliebt.«
»Bedeutet das, dass sie nie versucht hat, dich zu erwürgen?« Michaels Hände waren zu Fäusten geballt.
»Nein, das würde ich nicht sagen. Ich war mal ein Einzelkind.« Victor seufzte.
Elise von Avondale, Elise von den Barrows, die verrückte Elise – wie auch die Beziehung ihrer beiden Söhne miteinander aussehen mochte, leicht war ihr Leben bestimmt nicht gewesen. Irgendetwas war mir entgangen, ein entscheidender Teil des Rätsels, das sie umgab. Vielleicht hatte Michael mich nach Avondale geschickt, um ebendieses Teil zu finden.
»Ich muss gehen.« Egal, wie neugierig ich sein mochte, aber das hier ging mich nichts an.
Michael begleitete mich zur Tür und sagte, dass ich in den Keller fahren sollte, wo jemand auf mich warten würde. Noch während er die Tür schloss, sah ich Victor zur Bar gehen.
Michael sagte noch, dass er meinen Wagen vom Erzengel zu meiner Wohnung bringen lassen würde, aber ich bat ihn, ihn stattdessen zu Abby zu bringen. Er fragte nicht nach dem Autoschlüssel, aber das war dann wohl sein Problem. Welche Geheimnisse hatten diese beiden Männer noch?
Bei meiner Mitfahrgelegenheit handelte es sich um einen unauffälligen Shuttle-Van, der zum Hotel gehörte. Der nette, ältere Mann, der ihn fuhr, redete während der ganzen Fahrt und versuchte vor allem herauszufinden, warum er mich zu einem Polizeirevier statt zum Flughafen fahren sollte.
Das Polizeirevier befand sich in einem alten, doch reizvollen Backsteingebäude mit planlosen, eckigen Anbauten aus Beton. Bis auf den alten, zimtfarbenen Bauabschnitt wirkte das Gebäude wie eine fensterlose Trutzburg, die von einem paranoiden Architekten entworfen worden war. Aber vielleicht war es auch die Nähe zu den Barrows, die es seltsam aussehen ließ. Ich war bisher nur einmal hier gewesen.
Ich ging zum Empfangstresen, nannte meinen Namen,
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