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Schattenpferd

Titel: Schattenpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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heute Abend beim Dinner.«
    Er verzog das Gesicht. »Du gehst mit ihm essen? Kauf dir lieber vorher einen Kasten flüssiges Lysol.«
    »Zum Trinken?«
    »Um dich hinterher drin zu baden. Mal im Ernst, Elle«, warnte er mich mit gerunzelten Brauen, »pass auf mit dem Drecksack. Irina hat mir erzählt, was der ihrer Freundin angetan hat. Und jetzt hat es auf dem Turnierplatz einen Mord gegeben. Hat er damit zu tun? Du bist den ganzen Tag dort gewesen, stimmt’s?«
    »Ich weiß nicht, ob er was damit zu tun hat. Andere Leute könnten Gründe haben, sich den Tod des Mädchens zu wünschen.«
    »Großer Gott, Elle.«
    »Ich weiß, was ich tue. Und jetzt hat die Polizei die Sache übernommen.«
    »War deshalb heute Morgen dieser Kerl hier?«, fragte er mit verschlagenem Blick. »Dieser gut aussehende Mann in dem silberfarbigen Auto?«
    »Detective«, verbesserte ich ihn. »Sieht er gut aus? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
    »Schätzchen, du brauchst eine Brille, wenn du das nicht bemerkt hast.«
    »Seine Persönlichkeit lässt zu wünschen übrig.«
    »Genau wie deine.« Sean unterdrückte ein Grinsen. »Könnte doch prima zusammenpassen.«
    »Könnte sein, dass du mal dein Hirn untersuchen lassen musst«, maulte ich. »Dieser Schlamassel, in den ich da reingeraten bin – dank deiner, übrigens –, ist ganz schön übel. Romantik steht dabei nicht auf dem Programm, selbst wenn ich interessiert wäre – was ich nicht bin.«
    Er summte vor sich hin, dachte an etwas, das ich mit Sicherheit nicht wissen wollte. Mir war unwohl bei dem Gedanken, dass mich jemand als sexuelles Wesen betrachten könnte, weil ich mich schon seit Jahren nicht mehr so sah.
    Die Verletzung meines Selbstwertgefühls, die ich an jenem Tag im ländlichen Loxahatchee erlitten hatte, als Hector Ramirez getötet wurde und ich unter die Räder von Billy Golams Truck geraten war, ging tiefer als meine körperlichen Narben.
    Trotz der Tatsache, dass die Chirurgen die letzten zwei Jahre damit verbracht hatten, die körperlichen Schäden zu reparieren – Zusammenfügen gebrochener Knochen, Hautverpflanzungen, wo der Asphalt alles weggerieben hatte, das Zusammensetzen meiner zerschmetterten Gesichtshälfte –, wusste ich nicht, ob ich mich je wieder vollständig fühlen würde. Wichtige Teile meiner selbst fehlten – Teile meiner Seele, meines psychischen Selbst. Vielleicht würden sich die Schichten schließlich wieder füllen. Vielleicht hatte der Vorgang bereits begonnen. Aber es lag noch ein langer Weg vor mir, und an den meisten Tagen bezweifelte ich, ob ich die Kraft oder den Willen für diese Reise hatte. Ich wusste nur, dass ich mich dabei nicht beobachten lassen wollte. Schon gar nicht von James Landry.
    »Sag niemals nie, Schatz.« Sean trank seinen Wein aus und ging, um sich für einen Abend in Palm Beach fertig zu machen. Ich ging ins Gästehaus und sah meine E-Mails durch.
    Special Agent Armedgian, mein Kontakt beim FBI-Büro in West Palm, hatte mir die Interpolinformation geschickt.
    Laut Armedgian hatte Van Zandt keine Vorstrafen, aber Interpol besaß eine Akte über ihn, was schon einiges sagte. Er hatte die Finger in vielem drin gehabt, immer am Rande der Legalität, hatte die Grenze aber nie ganz überschritten – oder war zumindest nicht erwischt worden.
    Nichts darüber, dass er wegen sexueller Vergehen überprüft worden war. Ich war enttäuscht, aber nicht überrascht. Wenn es andere Opfer seines dubiosen Charmes gab, glichen sie vermutlich Irinas Freundin: jung, unerfahren, allein in einem fremden Land, voller Angst, sich jemandem anzuvertrauen.
    Weil ich meinen Kopf vor der abendlichen Gehirnakrobatik frei haben wollte, zog ich einen Badeanzug an, stieg in den Pool und überließ es dem warmen, seidigen Wasser, meinen Körper zu besänftigen und die Schmutzschichten aus meinem Hirn zu spülen.
    Die Sonne war untergegangen, aber der Pool schimmerte mitternachtsblau, erleuchtet von Lampen in den Wänden. Ich dachte an gar nichts, während ich gemächlich meine Bahnen zog und in Zeitlupe unter Wasser am Ende jeder Bahn wendete. Die Spannung wurde weggewaschen, und für eine kurze Zeit war ich ein geschmeidiges Wassertier, bestand nur aus Knochen und Muskeln und Instinkt. Es fühlte sich gut an, etwas so Simples und Ungekünsteltes zu sein.
    Als ich genug hatte, drehte ich mich auf den Rücken und ließ mich treiben, sah zu den winzigen Sternen am samtschwarzen Himmel hinauf. Dann kam Landry ins Blickfeld, stand am Rand des

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