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Schattenpferd

Titel: Schattenpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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seine 315 er auf meinen Kopf . Ich mache meinen letzten Atemzug .
    Er dreht sich abrupt um und schießt . Das Geräusch ist ohrenbetäubend . Die Kugel trifft Hector Ramirez ins Gesicht und bläst ihm den Hinterkopf weg , bespritzt Sikes mit Blut und Hirnmasse .
    Das Bild verschwand langsam aus meinem Kopf, und das Gebäude, in dem ich gearbeitet hatte, nahm vor meinen Augen allmählich klare Konturen an.
    Der Justizkomplex von Palm Beach County steht auf einem gepflegten Gelände an der Gun Club Road nahe des Lake Lytal Parks. In dem Komplex befinden sich die Büros des Sheriffs, des Gerichtsmediziners, das Leichenschauhaus, das Countygericht und das Gefängnis. Alles hübsch beieinander für die Gesetzesbrecher und ihre Opfer.
    Ich saß in meinem Auto auf dem Parkplatz des Gebäudes, in dem das Sheriffbüro untergebracht war, und hatte ein flaues Gefühl im Magen. Lange Zeit war ich nicht durch diese Türen gegangen. Ein Teil von mir glaubte, dass mich jeder da drinnen sofort erkennen würde und alle einen unglaublichen Hass auf mich hatten. Von der Logik her wusste ich, dass das nicht stimmte. Vermutlich kannte und hasste mich nur die Hälfte der Leute.
    Es war kurz vor Schichtwechsel. Wenn ich James Landry jetzt nicht erwischte, würde es bis zum nächsten Tag warten müssen. Ich wollte ihm Erin Seabrights Namen einprägen wie einen geistigen Dorn, der ihn die ganze Nacht pikte.
    Meine Beine waren wie aus Gummi, als ich auf die Eingangstür zuging. Gefangene in dunkelgrauen Uniformen waren vor dem Gebäude mit Gärtnerarbeiten beschäftigt, bewacht von einem schwarzen Wärter in Tarnhosen, einem wie auf den Körper gemalten schwarzen T-Shirt und einem Trooper-Hut auf dem Kopf. Er alberte mit zwei Polizisten herum, die auf dem Bürgersteig standen und rauchten. Niemand beachtete mich.
    Ich ging hinein zum Empfangsschalter. Niemand rief meinen Namen oder stürzte sich auf mich. Vielleicht lag es am Haarschnitt.
    Die Wachhabende hinter dem kugelsicheren Glas war eine rundgesichtige junge Frau mit langen, purpurfarben lackierten Fingernägeln und einem Medusenkopf voll ineinander geschlungener schwarzer Zöpfe.
    »Ich möchte zu Detective Landry«, sagte ich.
    »In welcher Angelegenheit, Ma’am?«
    »Ein Vermisstenfall.«
    »Ihr Name?«
    »Elena Estes.«
    Kein Anzeichen des Erkennens. Kein wütender Aufschrei. Ich kannte sie nicht, sie kannte mich nicht. Sie rief Landry an und bat mich, auf einem der Stühle zu warten. Ich blieb mit verschränkten Armen stehen, starrte auf die Tür zur Treppe und wagte kaum zu atmen. Es kam mir wie Stunden vor, bis sich die schwere graue Tür öffnete.
    »Ms. Estes?«
    Landry hielt die Tür einladend auf.
    Er war ein stämmiger, athletischer Mann Mitte vierzig, der etwas Akribisches zu haben schien. Sein Hemd wirkte immer noch frisch, obwohl es fast vier Uhr nachmittags war. Sein Haar war militärisch kurz geschnitten, schwarz, mit viel Grau durchzogen. Er hatte den Blick eines Adlers: durchdringend und etwas geringschätzig, fand ich. Oder vielleicht lag das nur an meiner Paranoia.
    Ich hatte einige der siebzehn Detectives aus dem Dezernat für Gewaltverbrechen gekannt, hauptsächlich aus der Einsatztruppe, aber Landry kannte ich nicht. Wegen der Natur ihrer Arbeit bleiben Drogenfahnder meist unter sich und begegnen anderen Detectives nur, wenn es um eine Leiche geht.
    Zusammengestellte Stahlschreibtische bildeten Inseln in der Einsatzzentrale. Die meisten Tische waren unbesetzt. Ich erkannte niemanden. Die Blicke, die in meine Richtung geworfen wurden, waren wachsam und kalt. Polizistenblicke. Der Ausdruck bleibt sich immer gleich, egal, bei welcher Behörde, egal in welchem Land. Der Ausdruck von Menschen, die niemandem trauen und jeden verdächtigen. Ich wusste nicht, was sie dachten. Ich merkte nur, dass manche Blicke zu lange an mir hängen blieben.
    Ich setzte mich neben Landrys Schreibtisch auf den Stuhl, den er mir angeboten hatte. Er strich sich mit der Hand über die Krawatte, während er sich auf seinem Drehstuhl niederließ, ohne den Blick von mir zu wenden. Dann schaltete er seinen Computer an und setzte eine Lesebrille auf.
    »Ich bin Detective Landry«, sagte er beim Tippen. »Ich nehme Ihre Aussage auf. Soviel ich verstehe, wollen Sie eine Vermisstenanzeige aufgeben.«
    »Sie ist bereits als vermisst gemeldet worden. Erin Seabright. Ihre Schwester hat vor zwei Tagen mit Ihnen gesprochen. Molly Seabright. Sie hat mir erzählt, Sie wären grob und herablassend und

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