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Schattenpferd

Titel: Schattenpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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sich den Arm, wo ihn das Hufeisen getroffen hatte.
    Irina machte Tino in der Pflegebox los und führte den Wallach hinaus.
    »Sean, ich entschuldige mich für meinen Ausbruch«, sagte Irina und gab ihm die Zügel. »Es tut mir Leid, Sie in Verlegenheit gebracht zu haben.« Sie schaute mit kalter Verachtung zu Van Zandt. »Ich entschuldige mich, Sie auf Mr. Avadons Grundstück angegriffen zu haben.«
    Van Zandt sagte nichts, sah sie nur finster an. Das Mädchen warf mir einen Blick zu, als wollte sie sagen: Siehst du , was er für ein Schwein ist? Sie ging weg, stieg die Stufen zum Pavillon am Ende der Reitbahn hinauf und drapierte sich auf einen Stuhl.
    »Die Zarin«, sagte ich.
    Van Zandt schmollte. »Ich sollte die Polizei rufen.«
    »Aber das werden Sie nicht tun.«
    »Sie sollte eingesperrt werden.«
    »So wie Sie ihre Freundin eingesperrt haben?«, fragte ich unschuldig und wünschte, ich könnte ihm ein Messer zwischen die Rippen stoßen.
    Sein Mund zitterte, als würde er auf der Stelle losheulen. »Sie glauben ihren Lügen statt mir? Ich hab nichts getan. Ich habe dem Mädchen Arbeit gegeben, eine Unterkunft –«
    Herpes …
    »Sie hat mich bestohlen«, fuhr er fort. »Ich hab sie wie eine Tochter behandelt, und sie hat mich bestohlen und mich hintergangen, hat Lügen über mich verbreitet!«
    Wieder mal das arme Opfer. Alle waren gegen ihn. Seine Motive waren stets rein. Ich wies ihn nicht darauf hin, dass in Amerika ein Mann, der seine Tochter so behandelte, wie er Sascha behandelt hatte, ins Gefängnis wandern und als eingetragener Sexualstraftäter wieder rauskommen würde.
    »Wie undankbar«, sagte ich.
    »Sie glauben ihr«, warf er mir vor.
    »Ich glaube daran, mich um meine eigenen Sachen zu kümmern, und Ihr Sexleben ist nicht meine Angelegenheit, und wird es auch nie sein.«
    Er verschränkte die Arme, machte einen Schmollmund und starrte auf die Bommeln an seinen Schuhen. Sean war auf sein Pferd gestiegen und war in der Bahn beim Aufwärmen.
    »Vergessen Sie Irina«, sagte ich. »Sie ist nur eine Hilfskraft. Wen kümmert es, was Pferdepfleger zu sagen haben? Sie sollten wie brave Kinder sein: zu sehen, aber nicht zu hören.«
    »Diese Mädchen sollten wissen, wo ihr Platz ist«, murmelte er düster, öffnete seine Kameratasche und zog die Videokamera heraus. »Oder man sollte sie auf ihren Platz verweisen.«
    Ein Schauder fuhr mir über den Rücken wie ein kalter, knöcherner Finger.
    Während wir Sean dabei beobachteten, wie er mit dem Pferd arbeitete, waren wir beide mit unseren Gedanken woanders. Van Zandts Stimmung war nach wie vor düster. Vermutlich dachte er an die Schadensbegrenzung für seinen Ruf, nahm wohl an, dass Irina – und vielleicht ich – die Sascha-Geschichte in Wellington verbreiten würden und er Kunden verlieren könnte. Oder er malte sich nur aus, Irina mit bloßen Händen zu erwürgen, stellte sich vor, wie die Knochen in ihrer Kehle wie kleine trockene Zweige zerbrachen. Irina saß rauchend im Pavillon, das eine lange Bein über die Armlehne eines großen Korbstuhls geschwungen, und wandte ihren finsteren Blick nicht von Van Zandt ab.
    Meine Gedanken liefen in eine andere Richtung. Ich fragte mich, ob Tomas Van Zandt gedacht hatte, Erin Seabright solle froh über seine Annäherungsversuche sein, oder ob er sie »auf ihren Platz verwiesen« hatte. Ich dachte an mein Gefühl, dass Erin Chad den Laufpass gegeben hatte, und überlegte, ob Van Zandt oder jemand wie er ihr Versprechungen gemacht und die dann auf die schrecklichste Weise gebrochen hatte. Und ich überlegte wieder, ob all diese grausigen Möglichkeiten von Bruce Seabright in die Wege geleitet worden waren.
    Erin hatte nicht seiner Vorstellung einer perfekten Tochter entsprochen, und jetzt war er sie los. Wenn man sie tot auffand, würde er dann auch nur einen Moment lang ein schlechtes Gewissen haben? Wenn sie nie wieder auftauchte, würde er sich dann auch nur eine Sekunde lang verantwortlich fühlen? Oder wäre er zufrieden über einen gut gemachten Job?
    Ich dachte an meinen eigenen Vater und fragte mich, ob es ihn wohl erleichtert hätte, wenn seine undankbare Tochter einfach verschwunden wäre. Wahrscheinlich. Ich hatte laut gegen alles protestiert, was er war, für was er stand. Ich wollte es ihm zeigen und hatte einen Beruf ergriffen, bei dem ich die Leute hinter Gitter brachte, die er vor Gericht verteidigte, die Leute, die ihm den Lebensstil ermöglichten, mit dem ich aufgewachsen war. Andererseits war

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