Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
wenn ich es recht verstanden habe, Herr, ein Fremder, zufällig in Atgath.«
» Also jemand, den Ihr zuvor gar nicht kanntet?«
Der Arzt wurde immer kleinlauter. » Nein, Herr, doch ist er weit gereist, und …«
» Ihr habt also einem Fremden die Behandlung des Herzogs anvertraut?«, unterbrach ihn Quent scharf.
Der Arzt nickte schwach. Er war leichenblass.
Quent hatte gute Lust, ihn aus dem Fenster zu werfen. Er packte den Mann an den Schultern und sah ihm ernst in die Augen. » Das Mittel. Wie heißt es?«
» Das … das weiß ich leider nicht, Herr«, stotterte Segg. » Aber … aber es stammt aus Tenegen, wo sie doch berühmt für ihre Heilkunst sind, und es enthält Wolkenkraut und Mohnmilch, aber den Namen …«
» Mohnmilch? Vom Nachtmohn? Seid Ihr noch bei Trost? Da ist es kein Wunder, wenn unser Herzog Vögel singen hört.«
Der Feldscher verstummte.
» Diesen Meister Ured, den würde ich gerne kennenlernen. Holt ihn!«
» Er übernachtet nicht in der Burg, sondern in der Stadt, Herr.«
» Na und? Sind Eure Beine so schwach wie Euer Verstand? Lauft, sonst mach ich Euch neue!«
Quent sah dem Arzt nach, der verängstigt davonstolperte, dann begab er sich so schnell wie möglich in die Gemächer des Herzogs. Die Milch vom Nachtmohn war berühmt, oder besser gesagt, berüchtigt. Die Schamanen der Barbarenvölker verwendeten sie für ihre seltsamen Geisterreisen, und es hieß, diese Milch ließe einen Dinge sehen und hören, die nicht von dieser Welt waren. Quent verfluchte den Leichtsinn des Arztes und war besorgt, dass der Herzog, ohnehin nicht in bester Verfassung, sich selbst etwas antun könnte, denn auch das kam bei den Schamanen vor. Es sah Meister Segg gar nicht ähnlich, derart vorschnell und eigenmächtig zu handeln. Der Zauberer stürmte den Gang entlang. Diesem Meister Ured musste er unbedingt auf den Zahn fühlen, um herauszufinden, ob er etwas Böses gegen den Herzog im Schilde führte. Als Quent die Gemächer des Herzogs erreichte, schlich sich ein anderer Gedanke ein: Wenn sich dieser Fremde so gut auf Pflanzen und Kräuter verstand, dann kannte er vielleicht noch andere Mittel, vielleicht sogar solche, die dem Herzog wirklich halfen.
Als Quent die Kammer endlich betrat, saß der Herzog auf dem Tisch. Er trug ein fleckiges Nachthemd, das er von unten bis zum Kragen hinauf zerrissen hatte, hatte keine Unterkleider an, und Wahnsinn lag in seinen Zügen. Der alte Ostig stand dicht bei ihm und wirkte völlig verängstigt.
» Ah, Quent, hört Ihr das? Hört Ihr das Singen und die Stille?«, rief Hado fröhlich.
» Nein, Hoheit, bedauerlicherweise nicht. Welcher Art ist das Singen?« Er warf einen Blick auf die Fenster, sie waren geöffnet, was ungewöhnlich war. Kalte Herbstluft wehte hinein, aber ganz sicher kein Gesang von Vögeln.
» Lerchen, viele Lerchen. Und das Wort – es schweigt. Habt Ihr Lust, Euch die Kämpfe mit mir anzusehen, Quent?«
» Die Faust- und Ringkämpfe beginnen erst gegen Mittag, Hoheit.«
» Natürlich tun sie das. Und wie spät ist es jetzt?«
» Die Sonne wird gleich aufgehen, Hoheit.«
» Wirklich? Warum bin ich dann schon wach?«
» Nun, Ihr könntet Euch wieder zur Ruhe betten. Wir wecken Euch, wenn es so weit ist, Hoheit.«
» Aber ich will den Lerchen lauschen.«
» Das könnt Ihr auch von Eurem Bett aus, Hoheit.«
» Nein, da sitzt ein schwarzer Sperber und tötet sie alle. Habt Ihr das Blut nicht gesehen?«
Quent schüttelte den Kopf. » Da ist kein Blut.«
Der Herzog starrte ihn an, und plötzlich klärte sich sein Blick, und seine Stimme klang ganz vernünftig. » Ihr sagt mir nicht die Wahrheit, Quent, und Ihr tut nicht, was Ihr versprochen habt. Das Wort, zum ersten Mal seit Monaten brennt es nicht wie Feuer in meinem Kopf, aber das ist nicht Euer Verdienst, Quent, nicht Euer Verdienst. Ein anderer musste kommen. Dabei habt Ihr versprochen, ein Mittel zu finden. Ich frage Euch, wo ist dieses Mittel? Und wo wart Ihr in der letzten Nacht? Wo wart Ihr in all meinen schlimmen Nächten?« Noch einen Augenblick starrte er Quent mit seinen traurigen Augen an, dann legte er sich auf den Tisch und streckte sich aus. » Der Sperber, Quent, er tötet all die kleinen Vögel«, flüsterte er. Dann war er von einer Sekunde auf die andere eingeschlafen.
Nestur Quent betrachtete ihn erschüttert. Der Feldscher würde ihm dafür büßen, und dieser geheimnisvolle Fremde gleich mit.
Teis Aggi blickte zum Himmel auf. Es war ein Morgen, wie er
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