Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
bleiben, aber der Hass auf ihren Vater loderte stark, und sie konnte es kaum erwarten, ihm all das Unrecht heimzuzahlen, das er ihr und ihrer Mutter angetan hatte.
Schon in Elagir hatte sie überlegt, wie sie ihn töten könnte, aber sie kam nicht mehr in seine Nähe, seit ihre Mutter Nilami verstoßen worden war. Auch hatte sie die Hoffnung gehegt, dass er ihre Mutter eines Tages begnadigen würde, und deshalb stillgehalten. Niemand außer Almisan wusste, wie es im Inneren um sie stand, und er war es, der ihr beigebracht hatte, ihre Gefühle zu verbergen. Nur einmal hatte sie ihren Vater über einen Boten gebeten, ihre Mutter besuchen, sie wenigstens einmal noch in die Arme schließen zu dürfen. Doch selbst die Erfüllung dieser Bitte hatte ihr der Vater verweigert, ja, er verbot ihr und allen anderen im Palast, auch nur den Namen der Eingekerkerten zu nennen, und lange hatte Shahila nicht gewusst, ob ihre Mutter überhaupt noch lebte. Vor drei Jahren war dann ihr Bruder Weszen erschienen und hatte ihr im Namen ihres Vaters mitgeteilt, dass die schöne Nilami im Kerker verstorben sei. Das war am Tag nach ihrer Hochzeit gewesen, als sie sich schon auf dem Schiff befunden hatte, mit dem sie Oramar verlassen sollte. Beleran hatte ihre Tränen ganz falsch verstanden und gedacht, es sei seinetwegen, denn sie hatte ihm nichts von dieser Nachricht erzählt, und er hatte alles versucht, um sie zu trösten. Bis heute wusste er nicht, warum sie an jenem Tag geweint hatte, und das würde auch so bleiben.
Shahila versuchte, die dunklen Gedanken abzuschütteln, denn dafür hatte sie eigentlich keine Zeit. Es lag eine andere Herausforderung vor ihr: Nestur Quent. Der Alte war schwer zu fassen. Er war leider genau so, wie ihr Gemahl ihn beschrieben hatte. Er schien geradezu stolz darauf zu sein, dass ihn weder Frauen noch Gold noch Macht interessierten. Damit hatte er keine der üblichen Schwächen. Die Sterne interessierten ihn, also hatte sie dafür gesorgt, dass ihm Prinz Gajan aus Elagir ein neues Fernrohr schickte, damit war er wenigstens ein wenig abgelenkt. Aber noch immer war er eine unberechenbare Größe in ihrem Spiel, eine Gefahr, weit größer als ihr untreuer Halbbruder. Sie hatte widerwillig eingesehen, dass sie den Zauberer nicht auf ihre Seite ziehen konnte, aber sie wollte wenigstens dafür sorgen, dass seine Handlungen berechenbar wurden – und dass er sich verdächtig verhielt, denn er musste seinen Teil in ihrem Spiel doch erfüllen. Sie strich wieder mit langsamen Bewegungen durch ihr Haar und rief sich die wenigen Begegnungen mit ihm ins Gedächtnis. Er hatte sich kaum eine Blöße gegeben, nur, wie er mit dem Adlatus umging, das war seltsam. Sie hielt inne. Das angespannte Verhältnis zwischen diesen beiden Männern ließ sich natürlich auf mehr als eine Weise nutzen. Und noch etwas wurde ihr plötzlich klar: Die Verachtung, die Quent für den jüngeren Zauberer, ja, für fast alles außer für seine Sterne zeigte, offenbarte Überheblichkeit. Er war stolz, das war seine Schwäche! Sie legte den Kamm lächelnd zur Seite und begann, ihr Haar aufzustecken. Er hatte also doch einen schwachen Punkt, daraus musste sich doch etwas machen lassen.
Sie erfuhr von einer Magd, dass sie Quent im Haus der Wachen finden würde. Also ging sie hinüber. Im Hof sammelten Almisan und ein junger Leutnant ihre Männer, und sie konnte sehen, wie sehr die Soldaten den Kriegern misstrauten, während es andererseits so aussah, als würden die rauen Bergkrieger die Burgwachen in ihren schönen Wappenröcken nicht sehr ernst nehmen. Und als Shahila ihren Blick über die Soldaten ihres Schwagers schweifen ließ, konnte sie es ihren Leuten nicht verdenken: Die Männer aus Atgath waren offenbar zur Wache gegangen, weil sie einen sicheren, ruhigen Beruf suchten, nicht, weil sie auf Kämpfe aus waren und Heldentaten vollbringen wollten. Die Männer aus den Bergen Damatiens waren aus härterem Holz geschnitzt. Shahila besprach sich kurz mit Almisan und erfuhr, dass der Leutnant Quent tatsächlich überredet hatte, die Bergkrieger auf den Schatten loszulassen. Eine beachtliche Leistung, wie sie fand. Offenbar war dieser junge Mann nicht ganz unfähig. Es hieß natürlich auch, dass der Zauberer für vernünftige Vorschläge nicht gänzlich taub war. Das musste sie berücksichtigen. Sie ging hinüber in das Wachhaus, das grau und schief den Hauptgebäuden gegenüberstand.
Der Feldscher fing sie noch auf der engen Treppe ab: » Bitte,
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