Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
sicher, der auch nur halbwegs verdächtig aussieht, und glaubt mir, in dem Fall würde ein jeder, der nicht aus Atgath stammt, sehr verdächtig aussehen. Und das, während doch der Jahrmarkt so viele Auswärtige anlockt? Nein, Baronin, vielen Dank. Euer Vorschlag ist sicher gut gemeint, aber vielleicht solltet Ihr solche Dinge besser … ich meine, ich danke Euch für den Vorschlag, aber ich halte es für besser, es nicht zu tun.«
Shahila runzelte die Stirn. Sie wusste, dass Quent sie nicht für eine Idiotin hielt, und gab sich daher den Anschein, beleidigt zu sein. Dann sagte sie: » Ihr habt vermutlich Recht, Meister Quent. Ich habe nicht bedacht, dass eine Belohnung doch auch eine Verführung zu übereiltem Handeln sein kann. Doch wenn ich Euch auf andere Art behilflich sein kann, dann lasst es mich wissen.« Und dann verabschiedete sie sich kühl, weil sie angeblich noch so viele andere dringende Dinge zu erledigen hatte.
Als sie die Treppe wieder hinabstieg, hätte sie eigentlich mit sich zufrieden sein können: Quent hatte so reagiert, wie sie es erwartet hatte: Sie hatte angeboten, ein Kopfgeld auf den Schatten auszuloben, er hatte abgelehnt. Doch sie war zu sehr mit dem Fremden beschäftigt, um sich über diesen kleinen Erfolg zu freuen. Fünfzehn Jahre waren vergangen, aber sie hatte ihn nicht vergessen. Glückliche Tage waren das gewesen, im Palast von Elagir. Sie war die Tochter der Lieblingsfrau des Padischahs gewesen, und er hatte sie gerne um sich gehabt. Sie erinnerte sich, wie sie im Palastgarten an den Wasserspielen gesessen hatten, oder wie er sich des Abends sogar Zeit genommen hatte, ihr Geschichten zu erzählen. Er konnte gut erzählen. Doch dann hatte sich von einem Tag auf den anderen alles geändert, und aus der Lieblingstochter war eine von vielen geworden, eine, die nicht einmal mehr in die Nähe ihres Vaters gelassen wurde.
Sie unterdrückte den Zorn und dachte an den Tag zurück, als sie dem Fremden zum ersten Mal begegnet war: Er war zu ihrem Vater gekommen und hatte ihm, eingehüllt in ein grobes Tuch, zwei unscheinbare Blechteller überreicht. Sie hatte mit den Tellern spielen wollen, doch ihr Vater hatte es ihr lachend verwehrt. Und dann hatte der Fremde zu ihrer Unterhaltung mit einem Schluck Wasser aus dem Zimmerbrunnen kleine Kunststücke vorgeführt. Er hatte das Wasser von einer Hand zur anderen durch die Luft springen lassen, hatte es wie ein Seil gespannt und es ihr dann wie einen Blütenkranz auf den Kopf gesetzt, ohne dass sie nass geworden war. Nie hatte sie etwas Erstaunlicheres gesehen, und nie hatte sie daher dieses freundliche Gesicht vergessen. Einen Namen wusste sie nicht, aber sie wusste noch, wie ihr Vater ihn genannt hatte: Wassermeister. Und nun war dieser Mann in Atgath? Sollte sie da an einen Zufall glauben? Sie würde Almisan von diesem Mann berichten. Er stellte eine Bedrohung dar. War er vielleicht sogar ein Spion ihres Vaters? Wenn es so war, dann musste Almisan ihn töten, je eher, desto besser.
Sahif schüttelte fassungslos den Kopf. » Meine Schwester umbringen? Seid ihr noch bei Trost?«
Die Mahre verzogen keine Miene, aber Amuric knirschte etwas in der Mahrsprache, und Marberic sagte: » Sie will in die Kammer. Das darf nicht geschehen.«
» Meinetwegen, aber sie ist meine Schwester!«
» Du erinnerst dich nicht an sie.«
» Dennoch – ich spüre, dass wir von gleichem Blut sind. Und – ich will auch nicht mehr töten. Ich will kein Mörder mehr sein!«, rief Sahif, aber als er das sagte, wusste er, dass es im Innersten nicht stimmte. Seine Schwester hatte ihn belogen, betrogen und benutzt, und ein Teil von ihm wünschte ihr gerade jetzt einen sehr unerfreulichen Tod.
» Sie darf nicht in die Kammer.«
» Dann müssen wir eben einen anderen Weg finden, sie aufzuhalten«, rief Sahif und stellte sich vor, wie es sein würde, seiner Schwester die Kehle durchzuschneiden. Er schloss die Augen, um dieses Bild, das das Blut in seinen Ohren rauschen ließ, zu verdrängen. Nein, das bin ich nicht, sagte er sich, nicht mehr.
Marberic sah ihn nachdenklich an. Dann sagte er: » Wenn du einen findest, ist es gut. Wenn nicht, musst du sie töten. Verstehst du?«
» Nein, das verstehe ich nicht«, rief Sahif ungehalten. Er fühlte sich plötzlich beengt von der steinernen Röhre, in der er mit den beiden Berggeistern sprach, beengt auch von diesem dunklen Blutdurst, der aus dem schwarzen Loch in seinem Inneren aufstieg. Ein böser Traum, dachte er, das
Weitere Kostenlose Bücher