Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
ist alles nur ein böser Traum. Und gleich werde ich erwachen. Aber er erwachte nicht. » Was wäre denn so schlimm daran, wenn Shahila ein paar magische Gegenstände in die Finger bekäme?«, fragte er.
» Nicht die Gegenstände. Der Pfad«, erklärte Marberic, und als ihn Sahif verständnislos anstarrte, fügte er hinzu: » Der Pfad zur Magie. Er beginnt in der Kammer. Kein Mensch darf ihn gehen.«
Sahif ahnte endlich, was der Mahr meinte. Marberic hatte ihm schon erklärt, dass die Magie der Menschen lediglich ein schwacher Nachhall der alten, reinen Kraft war, über die nur die Mahre verfügten. Es gab also in Burg Atgath einen Zugang zur Magie? Dennoch erschien ihm das Ansinnen der beiden Wesen völlig verrückt. » Warum sperrt ihr diesen Pfad nicht einfach? Habt ihr nicht auch hier Mauern gezogen?«, fragte er und wies auf die Wand, die den Stollen versperrte.
Amuric knirschte etwas und klang zornig, Marberic antwortete ruhig in der Mahrsprache, worauf der andere Mahr seufzend nickte. Schließlich erklärte Marberic: » Das können wir nicht. Wir haben diesen Pfad nicht gebaut.«
» Aber ich dachte …«
Marberic unterbrach ihn. » Wir bewachten ihn, bauten die Torburg. Das war unsere Aufgabe. Doch wurden wir weniger, die Menschen immer mehr. Daher gaben wir die Burg und den Schlüssel Menschen, denen wir vertrauten.«
» Den Herzögen«, murmelte Sahif.
» Damals waren es keine Herzöge«, warf Marberic fast entschuldigend ein, als ob es darauf ankäme.
Sahif schüttelte den Kopf: » Aber wenn nicht ihr den Pfad gebaut habt, wer …?«
» Die, die vor uns waren, doch sind sie lange schon zu Stein geworden.«
» Aber …«
Marberic fiel ihm erneut ins Wort: » Kein Mensch darf diesen Weg gehen. Auch deine Schwester nicht.« Seine tiefliegenden Augen blickten ungeheuer ernst.
Sahif nickte beeindruckt und fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn doch ein Mensch hinabstieg zur Essenz der Magie. » Ich werde es versuchen«, sagte er schließlich. » Lasst uns erst Ela Grams retten, aber dann werde ich versuchen, meine Schwester aufzuhalten.«
» Um jeden Preis?«, fragte Amuric.
Sahif zögerte. Shahila war bereit, für ihr Ziel über Leichen zu gehen, das war ihm schmerzhaft bewusst, denn er war ihr Werkzeug gewesen. Er wollte mit all dem nichts mehr zu tun haben, aber hatte er eine Wahl? Die Mahre brauchten ihn, und er brauchte die Mahre, wenn er Ela retten wollte. Und Shahila hatte den Tod verdient, oder nicht? Er blickte von einem zum anderen, dann sagte er: » Ich werde sie aufhalten.«
» Wirst du sie töten?«, fragte Amuric.
» Wenn es gar nicht anders geht«, erklärte Sahif. Er hoffte, dass er einen anderen Weg finden würde, auch wenn in seinem Inneren eine hartnäckige Stimme ihr Blut forderte. Aber er wollte Shahila nicht töten, sie war doch trotz allem seine Schwester, und er versuchte nicht mehr an das zu denken, was er während seiner Kämpfe empfunden hatte, dieses klare, kalte Verlangen, Blut zu sehen, seinen Gegner zu töten. Und auch das Bild, das wieder so lebendig vor seinem inneren Auge stand, das Bild, in dem er seiner eigenen Schwester die Kehle aufschlitzte, auch das versuchte er nun zu verdrängen. Er fasste einen Entschluss: Er würde Ela retten, und dann, dann würde man weitersehen.
Ela wollte gar nicht hinsehen, aber sie konnte den Blick auch nicht abwenden, also presste sie das Gesicht an das Gitter und sah zu. Unerträglicher Gestank wie nach faulen Eiern erfüllte das Laboratorium. Er kam von einem der großen Glaskolben, aus dem Dampfwolken und gelblicher Schaum quollen, nachdem Esara die lederne Verschlusshaube entfernt hatte. In dem Kolben steckte einer dieser schrecklichen Homunkuli, nackt, bedeckt mit Hautfetzen, die weiß in der Brühe trieben, wenn er sich bewegte. Und er zuckte, drehte sich, streckte sich.
» Noch nicht«, mahnte Meister Hamoch. Er stand ganz dicht am Kolben und schien kleine Instrumente abzulesen. » Noch nicht«, wiederholte er und wischte sich Schweiß von der Stirn. Die Homunkuli heizten den Kessel an, kümmerten sich um die anderen Kolben, in denen ebenfalls beinahe vollendete Wesen trieben und zuckten, und hielten Werkzeuge in den kleinen Händen.
» Den Trenner, jetzt«, zischte der Magier plötzlich.
Esara nahm einem Homunkulus eine riesige Zange ab und reichte sie dem Zauberer, der sie mit schneller Bewegung um den schmalen Hals des Kolbens legte. Im Inneren zuckte der Homunkulus heftiger, als habe er das knirschende
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