Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
rollte in den Schatten eines Hauses – und war plötzlich nicht mehr zu sehen. Die Wachen hätten auf ihn drauftreten müssen, um ihn zu finden. Und eben, im Gang, da war einer von diesen verfluchten kleinen Unholden. Aber auch vor dem hat er uns versteckt. Ich dachte, wenn er uns verrät, wie er das anstellt, dann könnte das doch sehr nützlich sein …«
» Du dachtest? Bist du sicher? Wirklich, du solltest das Denken mir überlassen, Reisig. Mir ist gleich, was der Mann kann oder nicht kann. Selbst wenn er fliegen kann – kein Fremder kommt hierher, wenn ich es nicht erlaube!«
» Ja, Hauptmann«, murmelte Habin. » Aber wenn einer herkommt, heißt das ja nicht, dass er auch wieder gehen muss, oder?«
» Gut, nun ist er hier, also wollen wir ihn uns mal ansehen.« Narok erhob sich und kam näher.
Der Namenlose sah, dass die Männer in der Kammer ihren Anführer respektierten, vielleicht sogar fürchteten, auf ihn wirkte der Mann allerdings nicht besonders beeindruckend. Er sah aus wie ein Handwerker, der sich als Räuber verkleidet hatte.
» Warum waren die Wachen hinter dir her, mein Junge?«
» Ein Missverständnis. Um ein Mädchen. Da war ein Hauptmann, der sich nicht zu benehmen wusste.«
» War es denn dein Mädchen? Nicht? Was? Ein Gaukler, der den edlen Retter spielt? Besonders klug scheinst du nicht zu sein, wenn du dich wegen einer Frau mit der Wache anlegst. Ich bin nicht sicher, dass das für dich spricht, Anuq. Und ich kann hier unten nicht noch mehr Narren gebrauchen.«
Anuq gefiel die Art nicht, wie der Mann mit ihm sprach. Er schien ihn für einen Dummkopf zu halten und für einen Gaukler, aber er war weder das eine noch das andere. » Ich habe auch nicht gesagt, dass ich hier unten bleiben will«, entgegnete er. Zorn stieg aus seiner inneren Finsternis auf.
» Oho! Er ist frech.« Narok lachte und legte ihm in beinahe freundschaftlicher Herablassung die Hand auf die Schulter. » Bilde dir bloß nicht ein, dass das deine Entscheidung ist, Bürschchen. Du gehst hier mit unserem Segen oder gar nicht mehr raus, verstanden? Und ich bin gespannt, ob du dich wirklich unsichtbar machen kannst, wie Habin behauptet. Wenn nicht, wäre das schlecht – für dich.«
Aus einem der Nebenräume kamen vier weitere Männer, ziemlich abgerissene Gestalten, in die Kammer. Offenbar wollten sie hören, mit wem ihr Hauptmann sprach. Nun standen Anuq mit Habin sieben Männer gegenüber. Er war jedoch nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen. Dieser angebliche Hauptmann machte ihn wütend. Er war respektlos, und irgendetwas in ihm sagte ihm, dass er sich das nicht gefallen lassen durfte. Da war er wieder, jener dunkle Zorn. Er fragte sich jetzt, warum er überhaupt mit dem Straßenkehrer mitgegangen war. Hatte er wirklich auf Hilfe gehofft? Von einem falschen Straßenkehrer? Von diesen armseligen Gesetzlosen hatte er jedenfalls keine zu erwarten. Es war besser, er machte sich davon. Doch wie?
» Wer seid ihr eigentlich?«, fragte er, um Zeit zu gewinnen.
» Wer wir sind? Hört ihr das, Männer? Der Grünschnabel fragt, wer wir sind!«
Seine Männer lachten rau.
» Nun, mein Junge, ich nehme an, dass du fremd bist und nur daher noch nichts vom listigen Narok und seinen Gerechten gehört hast.«
» Den Gerechten?«
» Wir sind Männer aus Atgath, ehrliche Männer einst, aber in Zeiten wie diesen kann auch ein ehrbarer Mann in Not geraten, und in dieser Stadt ist dann wenig Hilfe zu erwarten. Wir sind die, denen Unrecht geschah, und wir sind die, die im Verborgenen für Gerechtigkeit sorgen. Richter Hert ist der Hüter des Gesetzes in dieser Stadt, aber er ist ein Mann, der wenig Gnade kennt. Er hat uns Hab und Gut genommen, hat uns von Haus oder Hof verjagt, hat uns in den Schuldturm gesperrt oder auf einem anderen dunklen Weg ins Unglück gestürzt. Da ist es doch nicht mehr als recht und billig, wenn wir uns zurückholen, was ohnehin uns gehört. Wir nehmen jedoch nur von den Reichen, und deshalb nennt man uns die Gerechten.«
Der Namenlose sah einen seltsamen Stolz in den Gesichtern der Männer. Vielleicht glaubten sie diesen Unsinn sogar. » Also raubt ihr und stehlt«, stellte er trocken fest.
» Das sind hässliche Worte, Anuq«, sagte Narok düster.
» Ein hässliches Wort für ein böses Handwerk.«
» Für einen armseligen Gaukler hast du ein ziemlich großes Maul, Freund. Oder bist du etwas anderes? Bist du vielleicht das Verhängnis, dem Apei Ludgar begegnet ist? Oder – die
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