Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
ein kleines, eisenvergittertes Loch in der Tür konnte Luft eindringen. Im Dämmerlicht sah Ela verbeulte Eimer in der Ecke stehen, und eine große Lache einer rostbraunen, übel riechenden Flüssigkeit bedeckte das hintere Drittel der Kammer. Es gab weder Pritsche noch Stroh, nur einen schmierigen Steinboden.
» Was ist das für ein schrecklicher Ort?«, fragte Ela.
» Vielleicht war es früher ein Kerker, für die schlimmsten Schurken. Nun ist es ein Lager für alles, was nicht mehr gebraucht wird, und für heute ist es dein Schlafgemach.«
» Wollt Ihr mir nicht die Fesseln lösen?«, bat Ela und hob die Hände.
Aber Esara schnaubte nur verächtlich und schloss die Tür.
Ela hörte sie durch den Raum gehen, sie presste ihr Gesicht an das Gitter und sah, dass Esara nach und nach die vielen Kerzen und Lampen löschte, die das Laboratorium erhellten. Mit der letzten Laterne trat sie zu den Homunkuli, die sich in der Mitte der weitläufigen Kammer versammelt hatten. » Gute Nacht, meine Kinder. Du, Ilep, wachst über das Feuer, das deine ungeborenen Brüder wärmt. Schon morgen werden sie euch bei eurer Arbeit helfen können. Habt ein Auge auf die Gefangene, doch bleibt ihr fern, denn sie ist voller Falschheit und sehr gefährlich. Sie würde euch wehtun, wenn sie könnte.« Die Homunkuli sahen die Frau nur stumm an. » Habt auch ein Auge auf die Pforte. Denn Utiq, der die Gänge unter der Stadt erkundet, müsste bald zurückkehren. Er ist schon lange in den Tunneln.« Für einen Augenblick wirkte sie beinahe besorgt. Dann kehrte die Härte in ihre Stimme zurück. » Und nun ruht, Kinder. Morgen wird wieder ein langer Tag.«
Damit verließ sie das Laboratorium. Als sie die Pforte hinter sich verschloss, wurde es dunkel, nur unter dem Kessel drang noch schwacher Feuerschein hervor. Ela blieb am vergitterten Fensterchen, allein schon, um bessere Luft zu bekommen. Sie sah die fünf Homunkuli eine ganze Weile regungslos dort stehen. Plötzlich begann einer, sich zu bewegen. Ein zweiter fiel ein, dann alle fünf. Sie marschierten im Kreis, trotteten langsam, zögerten manchmal, gingen dann schneller. Nein, sie marschierten nicht –, sie tanzten! Ela sah ihre kleinen Leiber im schwachen Feuerschein des Kessels. Sie tanzten im Kreis, und das Feuer spiegelte sich in ihren großen, unheimlichen Augen.
Leutnant Aggi war auf dem Weg ins Laboratorium. Er war besorgter um Ela, als er sich eingestehen wollte, und er wollte dem Adlatus trotz vorgerückter Stunde unbedingt von seinen Erkenntnissen berichten. Es gab Menschen, die hier von langer Hand Böses planten, und das waren sicher nicht Ela oder ihr versoffener Vater. Er war schon am oberen Tor der Burg angekommen, als ihn ein Sergeant einholte, der völlig außer Atem war. » Herr Leutnant, endlich!«, keuchte er.
» Was gibt es?«, fragte Aggi.
» Man hat ihn gesehen, den Schatten.«
» Gesehen? Wo?«
» In der Neustadt, im Gerberviertel. Ich habe die Straßenkreuzungen besetzen lassen. Er kommt also nicht ungesehen hinaus, aber wir brauchen mehr Leute.«
Aggi nickte grimmig. Das war eigentlich Sache des Hauptmannes, aber der war verwundet. Also war es nun an ihm. » Geht in die Wachstube und nehmt jeden Mann, der diese Nacht nicht auf Wache steht. Ich gehe in den Henker und sammle die ein, die sich dort herumtreiben. Wir treffen uns auf der Brücke.«
» Jawohl, Herr Leutnant«, rief der Sergeant und eilte weiter.
Leutnant Aggi machte kehrt und lief in die Stadt hinab. Ela und der Adlatus mussten warten. Ihm war klar, dass die Jagd möglicherweise die ganze Nacht dauern würde, aber das war eben nicht zu ändern. Ihm war auch klar, dass die Erfolgsaussichten nicht sehr hoch waren. Sie jagten einen Schatten. Er hatte noch nie gehört, dass ein solcher gefangen worden wäre, wenigstens nicht lebend. Es war schon erstaunlich, dass man ihn überhaupt gesehen hatte.
Er sammelte seine Leute bei der Brücke und teilte sie in Gruppen ein. Das Gerberviertel war vom Rest der Neustadt vergleichsweise abgeschieden, weil der Geruch, der mit diesem Handwerk einherging, so unangenehm war. Es gab im Wesentlichen drei Straßen: Die Gerbergasse, die Ledergasse und den Uferweg, daneben noch Gässchen und Pfade zwischen den Wegen, aber dennoch, wenn man einen Mann in die Enge treiben wollte, dann ging das in Atgath am besten im Gerberviertel, denn nur dort, wo die Gerbergasse vom Uferweg abzweigte, kam man in dieses Viertel hinein oder konnte es verlassen. Teis Aggi teilte seine
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