Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
dass ich schon das eine oder andere wusste und konnte, bevor ich zu den Schatten kam. Vor langer Zeit also half ein Schatten meiner Familie, doch er tat es nicht umsonst. Er forderte ein Kind für den Orden, in jeder Generation. Für gewöhnlich sandten wir Knaben, denn die gelten bei uns weniger als Mädchen, doch meine Mutter gebar keine Söhne, nur Töchter. Und so ging ich, die Verpflichtung meiner Familie zu erfüllen.«
» Du bist sehr offen für eine von uns«, sagte Almisan plötzlich.
Jamade nickte, dabei hatte sie die Dinge doch nur angedeutet. Sie fand, er musste nicht wissen, dass sie die Gestalt wandeln konnte. Sie sagte: » Ich will noch offener sein, Bruder. Ich erwarte, dass du den Obersten unseres Ordens von mir berichtest, wenn ich auch den zweiten Auftrag zu deiner Zufriedenheit erledigt habe.«
» Ich bin noch nicht einmal sicher, dass du den ersten Auftrag so erfüllt hast, wie ich es erwartet habe, Schwester«, erwiderte er kalt.
Jamade nickte. Im Grunde genommen hatte sie das erwartet: Er war eben ein Meister ihres Ordens, und ihm waren die Ungereimtheiten in ihrem kurzen Bericht nicht entgangen. » Es war Kapitän Baak, Meister. Er spielte falsch. Eigentlich hatte ich geplant, die Leben der Prinzen mit dem Dolch zu nehmen, um sicherzugehen, doch dann liefen wir drei Stunden früher auf diese Klippen, als der Kapitän gesagt hatte. Ich nehme an, Baak wollte mich mit dem Schiff untergehen lassen, denn das Boot wartete nicht auf mich. Er und seine Getreuen haben ihren Lohn für diesen Verrat empfangen. Selbst getötet habe ich nur Prinz Olan, der mir auf Deck begegnete, als er auf dem brennenden Schiff seine Neffen suchte. Ich habe diese Suche beendet.«
» Dann hast du die Leichen von Gajan und seinen Söhnen nicht gesehen?«
» Ich sah seine Frau leblos im Wasser treiben und einen ihrer Söhne mit ihr. Doch hörte ich nach den ersten Schreien des Entsetzens keine Hilferufe mehr. Da war niemand, der nach Rettung brüllte. Niemand hat dieses Unglück überlebt.«
» Und das Boot?«
» Ich ging unweit von Felisan an Land. Das Boot habe ich versenkt. Es hatte zu viel Blut auf seinen Planken.«
Almisan nickte. » Ich verstehe, welche Umstände dich daran hinderten, es richtig zu machen, Schwester, doch wirst du verstehen, dass ich nicht sehr beeindruckt bin. Du bist ein Schatten, du solltest dich nicht auf andere verlassen.«
» Ja, Meister«, sagte Jamade unbewegt. Sein Tadel war berechtigt. » Und soll ich dennoch diesen Prinz Sahif für dich töten, der deiner Klinge entkommen ist?«
Das hatte wohl gesessen, denn Almisan trat nah an sie heran und blickte zornig auf sie herab. Er war mehr als einen Kopf größer als sie, und sein massiger Leib schien plötzlich den ganzen Raum auszufüllen. » Es hat seine Gründe, besondere Gründe, dass ich ihn nicht getötet habe, Schwester. Doch wirst du das niemandem gegenüber erwähnen, verstehst du?«
» Ja, Bruder«, sagte Jamade. » Doch wäre es gut, noch etwas mehr über ihn und seine Ziele zu erfahren.«
» Später. Ich bringe dir nachher etwas Fleisch und Brot. Dann können wir reden.«
Almisan verließ die Kammer, und Jamade lauschte seinen Schritten nach. Der Meister, der sie für diesen Auftrag ausgewählt hatte, hatte ihr von ihm berichtet: Er war von seinem ersten Herrn, dem Padischah von Oramar, freigegeben worden, damit er sich um diese Prinzessin kümmerte und sie beschützte, dabei war sie nur eine unter mehr als einem Dutzend Töchter. Jamade fand, dass diese Fürsorge nicht zu dem passte, was man sich sonst über den Großen Skorpion erzählte. Doch sie brannte darauf, mehr über ihren neuen Auftrag zu erfahren. Einen abtrünnigen Schatten zu töten, würde ihr viel Ruhm einbringen, mehr als ein versenktes Schiff voller Prinzen.
Das Meer hob und senkte sich, und bei jeder Bewegung ächzte das armselige Floß, auf das sie sich gerettet hatten. Prinz Gajan blickte besorgt zu Hadogan, der teilnahmslos vor sich hin starrte, die rissigen Lippen leicht geöffnet. Er litt Durst, wie sie alle, aber sie hatten kein Wasser mehr. Kumar hatte aus ein paar Brettern und ihren Hemden wieder einen Trichter gebaut, in dem sie Regenwasser auffangen konnten, doch es war immer zu wenig, und am Vortag hatte es gar nicht geregnet. » Müssten wir nicht bald …«, begann er, aber seine krächzende Stimme erschreckte ihn selbst. Er räusperte sich und wiederholte seine angefangene Frage: » Müssten wir nicht bald endlich auf Land
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