Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
stoßen?«
Kumar nickte und warf Kiet, einem Matrosen aus Haretien, der sich angeblich in diesen Gewässern auskannte, einen finsteren Blick zu.
» Ich weiß es nicht, Herr. Der Himmel ist bedeckt, seit wir aufgebrochen sind. Ich kann nicht einmal schätzen, wo wir uns befinden«, sagte der Seemann jetzt.
» Willst du damit sagen, wir sind Felisan immer noch nicht näher gekommen?«, fragte Gajan erschöpft.
» Es ist die Strömung, Herr«, verteidigte sich der Haretier. » Vor der Küste geht sie stark nach Osten. Ich glaube nicht, dass wir es hindurchschaffen, auch wenn wir wieder rudern.«
» Mann, warum hast du das nicht gleich gesagt?«, zürnte Kumar.
Er war der Einzige, der das schmale Brett, das ihm als Ruder diente, immer wieder in die Fluten tauchte. Gajan und die anderen hatten längst aufgegeben.
Ein heiseres Krächzen ließ Gajan den Kopf wenden. Es war der alte Ihlem, der fünfte Mann auf dem Floß. Er wies schwach in eine Richtung. Gajan reckte sich, aber das Floß glitt gerade ein Wellental hinab, und so konnte er nicht sehen, was der Alte meinte. Dann hob die nächste Welle sie wieder empor.
» Brandung«, rief Gajan. » Ich sehe Brandung!« Ein Hinweis auf Land, endlich!
Kumar starrte lange hinüber, dann spuckte er aus und sagte: » Brandung – und sonst nichts. Klippen, es sind wieder nur ein paar verdammte Klippen.«
» Felsen, ich sehe auch Felsen!«, rief Hadogan, der von ihnen allen die schärfsten Augen hatte.
Der Haretier murmelte einen Fluch und sagte dann: » Es sind schwarze Felsen, also sind wir immer noch in der Schärensee. Ich fürchte, wir sind beinahe im Kreis gefahren, Herr.«
Eine Weile schwiegen sie und ließen sich von den Wellen treiben. Gajan nahm Hadogan in den Arm und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er den Mut verloren hatte.
Es war Kumar, der sich als Erster wieder fasste: » Sie sehen recht groß aus, größer als die, die wir verlassen haben. Wir sollten sie ansteuern. Vielleicht finden wir dort eine Pfütze mit etwas Süßwasser oder irgendetwas anderes, das uns hilft.«
Das Meer, das ihnen bisher immer übel gesinnt gewesen war, schien jetzt auf ihrer Seite zu sein, und die Strömung trug sie schnell hinüber. Plötzlich stieß Hadogan einen hellen Schrei aus und wies auf das Wasser direkt vor ihnen. Da – ein nadelspitzer Felsen durchstieß das Wellental, und dann, mehr zu erahnen als zu sehen, zeichneten sich weitere dunkle Schatten unter der Oberfläche ab. Sie schrien, sie ruderten, aber es war zu spät. Das Floß lief plötzlich rasend schnell auf die Felsen auf. Holz knirschte, Fasern rissen, und der alte Ihlem schrie, weil sein Bein unter dem Floß eingeklemmt wurde. Gajan hielt Hadogan fest und sah die nackte Angst im Gesicht des Haretiers, der sich an den Planken festkrallte. Das Floß knirschte, drehte sich, noch einmal schrien sie, und dann hob sie eine gnädige Welle über die messerscharfen Klippen hinweg. Gajan konnte ihr Glück kaum fassen, bis er die rote Blutspur sah, die sie hinter sich herzogen. Der Alte hob sein Bein aus dem Wasser. Alles unterhalb des Knies war abgerissen. Ihlem schrie, fast lautlos, ein hoher, durchdringender Ton. Dann verlor er die Besinnung.
Stumm sahen die drei anderen Männer zu, wie das Blut in pulsierenden Strömen aus dem Bein schoss. Sie tauschten vielsagende Blicke. Das Floß scheuerte über Klippen, als die nächste Welle es weitertrug. Die großen Felsen waren jetzt deutlicher zu sehen, sie waren wirklich viel größer als die, die sie verlassen hatten, und Gajan bildete sich ein, dass ihre Buckel mit Gras bewachsen waren. Aber die Gischt verriet, dass sie von einem Kranz von Klippen umgeben waren. Sie mussten hinüber, und das würde mit einem leichteren Floß besser gehen. Gajan betrachtete Ihlems Bein, aus dem immer noch zuckend Blut schoss. Er ist verloren, so gut wie tot. Ein guter Mann, sicher, doch jetzt nur noch Ballast, dachte er, und als er aufschaute, meinte er, in den Augen der anderen denselben Gedanken lesen zu können. » Hadogan, schau nicht hin«, befahl er rau. Und als sein Sohn sich abgewandt hatte, schob er gemeinsam mit Kumar und Kiet den Ohnmächtigen ins graue Wasser.
Hauptmann Teis Aggi saß abseits seiner Kameraden im Schwarzen Henker und hing seinen dunklen Gedanken nach. Die Männer feierten auch seine Beförderung, aber ihm war nicht nach Feiern zumute, schon gar nicht mit Fals. Er versuchte, den Lärm der Männer auszublenden und über all die Ereignisse der
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