Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
nicht beeindruckt. » Ich bin es nicht gewohnt, über mich zu sprechen, schon gar nicht in fremden Gängen, deren Wände vielleicht Ohren haben, Meister.«
» Du bist vorsichtig, das gefällt mir«, gab sich Almisan großzügig, » aber wir sind auch schon da.« Er öffnete eine Tür, und sie traten in eine kleine Kammer. Sie hatte ein einzelnes, schmales Fenster, vor dem Efeu rankte und kaum Licht einließ. In der Ecke lag ein zerbrochener Schrank auf dem Rücken, sonst war sie vollkommen leer. » Wenn du eine Matratze oder Decken brauchst, kann ich es besorgen. Ich werde dir auch später etwas zu essen bringen.«
Die junge Frau blickte aus dem Fenster. Ihrem dunklen Gesicht war nicht anzusehen, was sie dachte. » Und ich nehme an, du willst, dass ich für die Dauer meines Aufenthaltes hier drinnen bleibe, Bruder?«
» Es ist besser, du wirst nicht gesehen, Schwester.« Almisan hatte dieses abgelegene Gelass ursprünglich für Sahif ausgewählt. Hier hätte er seine letzten Stunden verbringen sollen, doch er hatte die Gefahr gewittert und war geflohen. Es war nur angemessen, dass die Frau, die ihn töten würde, nun sein Quartier bezog.
Jamade sah sich um und streckte sich. Ihr entging nicht, dass die armselige Kammer über eine Tür mit einem starken Schloss verfügte. Sie konnte ebenso gut als Versteck wie als Gefängnis dienen, aber sie nahm nicht an, dass Meister Almisan vorhatte, sie einzusperren. Er war ein Bruder ihres Ordens, er würde nicht gegen seinesgleichen handeln. Bei einem Abtrünnigen lag die Sache natürlich anders. Sie konnte sich nicht erinnern, je von einem Schatten gehört zu haben, der die Bruderschaft verlassen hatte. Es kam vor, dass ältere Brüder sich irgendwann zur Ruhe setzten – allerdings wurden nicht sehr viele Schatten so alt. Und nun gab es hier einen Verräter, der sich gegen seinen Auftraggeber und damit gegen die eisernen Grundsätze der Bruderschaft stellte? Angeblich hatte er vergessen, wer und was er gewesen war, aber er hatte mehrere Männer getötet und war einer ganzen Stadt von Verfolgern entkommen. Etwas von einem Schatten musste noch in ihm stecken. » Wie alt ist dieser Sahif?«, fragte sie.
» Dreiundzwanzig, wenn ich mich nicht irre. Denkst du, dass du ihn kennst?«
» Nicht unter diesem Namen natürlich, aber er könnte noch in unserer Festung gewesen sein, als ich auch dort war. Weißt du seinen Schattennamen?«
» Nein, er hat ihn mir nie verraten, und ich habe ihn auch nie danach gefragt – ebenso, wie ich dich nicht danach frage, Schwester. Doch schuldest du mir noch eine Antwort. Wie kommt eine junge Frau, die doch offensichtlich von einer der Inseln weit im Süden stammt, in unsere Bruderschaft der Schatten?«
Jamade zuckte mit den Schultern. Eigentlich war sie der Meinung, dass das den Rahis nichts anging, aber er war ein Meister, sie schuldete ihm tatsächlich Antwort: » Ich stamme von Martis, einer großen Insel im südlichen Okean, von der du vielleicht gehört hast, Bruder.«
Almisan schüttelte den Kopf. » Viel mehr als den Namen weiß ich nicht.«
» Händler aus Frialis haben dort schon vor langer Zeit eine Stadt gegründet, von der aus sie versuchen, uns zu beherrschen und auszuplündern, doch haben sie wenig Erfolg. Und gäbe es nicht Elfenbein und Gold bei uns, sie hätten wohl lange schon aufgegeben, denn ihre Soldaten sterben wie die Fliegen an den Krankheiten, die unser Wald für Fremde ausbrütet. In diesem Wald herrschen die Sippen nach altem Gesetz, und dieses Gesetz sagt, dass den Frauen die Herrschaft obliegen soll. So stamme auch ich von einer langen Linie solcher Herrscherinnen ab.«
» Frauen herrschen?«
» Ist das so erstaunlich? Auch du gehorchst den Befehlen einer Frau, wie mir scheint, Bruder.«
Almisan lächelte. » Ich hielt Shahila immer für etwas Außergewöhnliches. Anscheinend hat sie jedoch Schwestern im Geiste auf deiner Insel. Sind die Herrscherinnen dort ebenso klug und tatkräftig wie meine Gebieterin?«
» Es gibt solche und solche, nicht anders als bei den Männern, allerdings kann nur eine Frau eine Odale werden.« Als sie den fragenden Blick Almisans sah, fügte sie hinzu: » Odale sind die Einzigen, die Verbindung zu den Erdgeistern herstellen können.«
» Erdgeister?«
» Sie lehren uns ihre Magie, jedenfalls ein wenig davon. Natürlich halten die Männer aus dem Norden die Geschichten über die Geister für abergläubisches Geschwätz. Ich kann dir nicht verübeln, wenn du mir nicht glaubst,
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