Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
ihn also schon erwartet. Würde man ihm nun die Rechnung für seine Eigenmächtigkeit präsentieren? Er hatte wenig Angst um sich selbst, denn es war nicht leicht, ihn zu töten, aber seine Frau und seine Töchter … Ashaf geleitete ihn zu einem Zelt, das auf dem Achterdeck aufgeschlagen war, und bat ihn mit einem Lächeln, doch einzutreten. Faran Ured holte noch einmal tief Luft und trat ein, fest entschlossen, das Heft des Handelns so bald wie möglich wieder in die Hand zu bekommen.
» Ah, Meister Ured, ich bin hocherfreut, Euch kennenzulernen«, rief der Mann, der dort an einem Tisch saß und schrieb. Er legte die Feder zur Seite, erhob sich und kam in schnellen Schritten auf Ured zu, fasste seinen Unterarm und begrüßte ihn mit einem warmen, beinahe überschwänglichen Händedruck. » Ich bin Orus Lanat, Botschafter des erhabenen Padischahs von Oramar«, rief er. Er war nicht sehr groß, einen halben Kopf kleiner als Faran Ured, und seine Bewegungen waren die eines sehr lebhaften Menschen.
Ured nickte knapp, denn er hatte keine Lust, allzu freundlich zu den Leuten zu sein, die seine Familie in ihrer Gewalt hatten. » Ihr selbst seid jedoch nicht aus Oramar, oder?«, fragte er kühl.
» Ah! Eure Beobachtungsgabe ist erstaunlich. Ich habe zwar fast mein ganzes Leben in Elagir verbracht, meine Eltern stammen jedoch aus Menemon, dem Mund des Westens, wie diese Stadt auch genannt wird, weil doch alle Waren, die in die kleinen Reiche Westgarths gelangen oder diese verlassen, durch ihren Hafen wandern.«
Und weil dieser Mund den Abschaum dieser Reiche in die Welt hinausspuckt, dachte Ured, nickte aber nur.
» Kennt Ihr diese Stadt, Meister Ured? Ich selbst bin niemals dort gewesen.«
» Wollt Ihr mir nicht die Vorrede ersparen und gleich zur Sache kommen, Lanat?«
» Ich verstehe Euch, Meister Ured, ich verstehe Euch, aber bitte, versteht auch mich. Ich bin nicht Euer Feind. Setzt Euch doch bitte. Macht mir die Freude.« Der Gesandte nötigte Ured, sich zu setzen, erklärte etwas rätselhaft, er sei schließlich nicht Protektor Pelwa, schickte Ashaf mit einem Wink fort und klatschte dann in die Hände. Als ein Diener erschien, verlangte er, dass etwas zu essen aufgetragen werden möge. Es kümmerte ihn nicht, dass Ured weder Hunger noch Appetit verspürte, und er weigerte sich rundheraus, über das zu reden, was es zu bereden galt, solange die Mahlzeit nicht beendet war. Ured ließ sich lediglich ein Glas Wasser bringen. Vielleicht würde er es noch brauchen. Aber er machte sich nichts vor: Seine Auftraggeber wussten Bescheid. Seine Eigenmächtigkeit war ihnen nicht entgangen, und nun ließen sie ihn oder seine Familie dafür büßen. Sie hatten sie doch schon von seiner Insel entführt. Dieser Gesandte war nur ein Laufbursche. Er sah dem Mann beim Essen zu. Es wäre unvernünftig, ihn zu töten, aber dennoch verspürte Faran Ured das Verlangen danach, einfach, weil es sich besser anfühlen würde, als überhaupt nichts zu tun.
Der beinahe volle Mond war bereits aufgegangen und schimmerte von einem überraschend wolkenlosen Himmel. Er hatte deutlich kältere Luft mitgebracht, und selbst unter den Zaubermänteln fühlte Ela die neue Kälte. Dann sah sie endlich das Licht, von dem Wulger Dorn ihr erzählt hatte: Sie überquerten die Kuppe eines kahlen Bergausläufers, und ganz unvermittelt blinkte es in der Ferne klein, aber deutlich auf. » Sieh nur!«, rief sie entzückt.
» Ich sehe sie«, sagte Sahif düster.
Ela brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, was er meinte: Da saßen sechs Männer im Mondlicht auf einer kleinen Anhöhe über der Straße. Selbst sie erkannte, dass der Platz für einen Hinterhalt gut gewählt war. Von der Straße aus hätte man die Männer auf dieser Anhöhe nicht sehen können, und jenseits der Straße ragte eine Felswand viele Klafter hoch steil in den Himmel. Es war eine Engstelle, wie ein Flaschenhals, und diese Krieger würden verhindern, dass jemand hindurchkam. Auf ihrer Seite der Straße zog sich dichtes Buschwerk etliche Schritte den Hang hinauf. Auch dort mochte sich jemand versteckt halten.
» Wir können ihnen doch aus dem Weg gehen, oder?«, fragte sie.
Sahif, nach dem Vorfall mit den drei Bergkriegern noch schweigsamer als schon zuvor, schüttelte den Kopf und wies auf den Hang, der nicht viel weniger steil war als der auf der gegenüberliegenden Seite. Er war von losem Geröll bedeckt, und weiter oben stachen überhängende Felsen aus dem Berg. Ela sah ein,
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