Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
Vielleicht konnte er sich dann doch noch dem eisernen Griff seines Auftraggebers entwinden.
Der Gesandte schwieg und schien zu warten.
» Na schön, wie soll der Weg aussehen, den der Prinz in seiner Weisheit gefunden hat?«, fragte Ured und versuchte, nicht allzu spöttisch zu klingen. Auch das Wörtchen Weisheit wurde in der Regel nicht mit Prinz Weszen in Verbindung gebracht.
» Übergebt das geraubte Silber dem Gesandten des Seebundes.«
» Wem?«, fragte Ured, jetzt doch völlig verblüfft.
» Graf Gidus. Er ist in Felisan, und er braucht Geld.«
Heiram Grams starrte auf den Krug, der vor ihm stand. Es war ein großer, solider Steinkrug, und er hielt das Bier angenehm kühl. Er war fast leer, aber nur fast.
» Also noch einmal. Wollt Ihr nun noch einen Krug oder nicht? Wenn nicht, würde ich Euch bitten zu gehen, denn dies ist kein Obdach für die Heimatlosen, sondern eine Schänke.«
Grams blinzelte den Wirt durch seine Locken hindurch unsicher an. Er hatte sich auf dieses Bier gefreut, unbändig gefreut. Nun hatte er die seltsame Erfahrung gemacht, dass es gleichzeitig sowohl köstlich wie auch schal schmecken konnte. Das lag daran, dass er nach dem ersten Schluck an seine verstorbene Frau hatte denken müssen. Die Erinnerung an sie setzte ihm oft zu, wenn er trank, doch dieses Mal war es anders. Er blickte in den Krug. Es war erst sein dritter. Etwas in ihm verlangte mehr, schon um die wild in seinem Kopf kreisenden Gedanken zu beruhigen, die alle auf eine Frage hinausliefen: Was machte er in Felisan? Er wusste es nicht, aber er wusste, dass seine Frau nicht gebilligt hätte, was er hier tat.
Er hatte Meister Ured geholfen und war mit ihm durch das Gebirge gewandert, etwas, an das er sich aber nur nebelhaft erinnerte. Es war, als wäre er die ganze Zeit betrunken gewesen, aber er war sich sicher, dass er nichts getrunken hatte. Er spürte das Verlangen, gerade jetzt, da ihm schmerzhaft klar geworden war, wie fürchterlich schlecht es um sein Leben bestellt war: Er hatte seine Kinder im Stich gelassen, Leute verprügelt und Silber aus der Schatzkammer gestohlen. Er erinnerte sich daran, den Wächter niedergerungen zu haben, aber eher so, als habe er einem anderen dabei zugesehen, nicht, als hätte er es selbst getan. Was war nur mit ihm geschehen? Ob der freundliche Meister Ured es wusste? Er war klug, wenn auch nicht sehr kräftig. Deshalb hatte er das Silber ja tragen müssen. Grams starrte dem Wirt ins Gesicht. Der Mann sah wütend aus. Hatte er ihn wütend gemacht? So, wie er früher Ela, seine Tochter, wütend gemacht hatte. Seltsam, dass er erst jetzt sah, dass sie es wohl gut mit ihm gemeint hatte, wenn sie versucht hatte, ihn vom Trinken abzuhalten. Er hatte sie retten wollen, sich aber stattdessen in irgendeiner Kaschemme in Atgath volllaufen lassen. Er seufzte. Das Gefühl, versagt zu haben, war erdrückend.
» War das ein Ja?«, fragte der Wirt ungeduldig.
Wieder blinzelte Grams ihn verunsichert an. Es war eigentlich ganz einfach: Er würde dieses Bier bezahlen, aufstehen, seine Kiste schnappen und gehen. Natürlich. Er konnte der Versuchung widerstehen. Er war stark, früher war er sogar der beste Ringer von Atgath gewesen. Er musste nichts mehr trinken. Er konnte sich erheben und gehen. Es war ganz einfach. Meister Ured hatte ihn gebeten, hier zu warten, aber es sprach nichts dagegen, das vor der Tür zu tun. Er konnte sich auf die Kiste setzen und sich die Leute ansehen, die vorbeiliefen. Das war viel besser, als hier drinnen in der stickigen Schankstube weiter Bier in sich hineinzuschütten. Er räusperte sich, und seine Hand wanderte in die Tasche, um ein paar Münzen zusammenzusuchen. Er fühlte Stolz. Er hatte es geschafft. Er musste gar nichts trinken, er hatte sich in der Gewalt. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Gut, er musste nicht trinken, er hatte bewiesen, wie stark er war – aber was sollte er denn sonst tun, den langen Rest des Abends? Wer konnte schon wissen, wann Meister Ured zurückkehrte? Und es war ungemütlich kalt da draußen. Seine Frau würde das verstehen. » Gut, dann bringt mir noch eines, Herr Wirt.« Und er nahm sich vor, dass es bei diesem einen bleiben würde.
Shahila von Taddora stieg mit Almisan die langen Treppen von Burg Atgath hinab. Sie war nicht in bester Laune. Bereits am Mittag hatte ihr Kisbara eine Nachricht zukommen lassen, dass sie sie in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünsche, aber Shahila sah nicht ein, nach der
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