Schattenprinz
töten wollen. Noch nie habe ich jemanden wie dich gesehen. Du nimmst die Welt um dich herum auf eine Weise wahr, die … unnatürlich ist.« Er lachte. »Wie ein Vampir. Du fühlst eher, als dass du siehst.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das etwas Gutes ist.«
»Es ist weder gut noch schlecht. Ich staune über dich. Das habe ich von Anfang an. Ich kann sehen, dass du dafür geboren bist. Mit ein wenig mehr Schliff wirst du eine Furcht einflößende Gegnerin sein.«
Adele blieb bei seinen Worten der Atem weg. »Nun, ich … äh … danke. Ich frage mich, warum mein Lehrer mir nie etwas dergleichen gesagt hat.«
»Vielleicht weiß er es nicht«, entgegnete Greyfriar. »Oder vielleicht hat er Angst, dass es nichts mehr gibt, was er dich noch zu lehren vermag, wenn du erkennst, was du sein kannst.«
»Nun, wer hat es dich gelehrt?«
»Ich hatte einen sehr schlechten Lehrmeister. Mich selbst.«
»Was? Du hast es dir selbst beigebracht? Das ist bemerkenswert!«
»O nein. Mein Geschick ist nur das Ergebnis von Zeit. Und ich habe eine Menge davon. Ich verbringe sehr viel Zeit allein. Wie du dir vielleicht vorstellen kannst.« Er atmete tief ein. »Es ist ein großes Vergnügen, dich jetzt bei mir zu haben.«
Adele fuhr sich mit der Hand durch das verfilzte Haar und runzelte die Stirn über dessen erbärmlichen Zustand. »Danke. Ich habe es dir schon gesagt, du kannst nach Alexandria kommen und so viel Zeit dort verbringen, wie du willst.«
»Das ist unwahrscheinlich. Um meinetwillen würde ich dich gerne viel länger bei mir haben. Um deinetwillen tut es mir leid, dass ich dich nicht sofort nach Hause bringen kann.«
Sie verspürte einen leichten Schmerz. »Also, kannst du mir sagen, was im Norden auf uns wartet?«
»Vorübergehende Sicherheit. Das wird uns Zeit verschaffen, während Flay den Süden nach dir absucht. Mach dir keine Sorgen.«
»Ich bin nur neugierig, das ist alles«, versicherte Adele ihm. »Ich bin schließlich auch an dieser Angelegenheit beteiligt. Und ich weiß immer noch so wenig über dich oder deine Pläne.«
Er nickte. »Ich glaube, es wird dir im Norden gefallen.«
Die junge Frau ließ es ihm durchgehen, dass er von ihrer Bemerkung ablenkte. Für den Augenblick. Sie war glücklich darüber, einmal eine Unterhaltung zu führen, die sich nicht ums nackte Überleben drehte. »Ich war noch nie so weit im Norden. Ich habe nur davon gelesen.«
Er schwieg einen Moment, dann wurde seine Stimme leidenschaftlich. »Wo wir hingehen, ist es wild und rau. Es ist ein Ort der dunklen Lochs und heidebedeckten Berge. Es ist kalt und riecht rein. Ich liebe es dort.«
»Ich dachte mir schon, dass du ein Naturbursche bist.«
Er zuckte mit den Schultern. »Wenn es nach mir ginge, würde ich all meine Zeit lieber draußen verbringen als in den Eingeweiden eines Gebäudes. Zu leben, wie es einst meine Vorfahren taten, von der Natur und indem sie die weite Straße bereisten.«
»Du bist ein Romantiker.«
Rußgeschwärzte Gläser wandten sich ihr zu. »Ist das schlecht?«
»Nein. Ganz und gar nicht. Ziemlich attraktiv, um ehrlich zu sein.« Sie schenkte ihm ein schüchternes Lächeln. »Und dann hast du auch noch einen schneidigen Umhang und ein Schwert. Was soll einem daran nicht gefallen?«
»Bist du selbst eine Romantikerin?«
Nachdenklich unterbrach Adele einen Augenblick lang ihre Aufgabe des Wasserschöpfens. »Ich wäre es gerne. Aber es ist schwer, wenn man eine Prinzessin ist. Ich habe eine gewaltige Menge von Verpflichtungen bei Hofe. Das lässt einem nicht viel Zeit, um ein Romantiker zu sein. Aber als du vom Norden sprachst, darüber, wie wild er ist, erinnerte mich das an die weite Wüste. Ich war schon immer überwältigt von der Wüste, obwohl ich nie viel Zeit dort verbracht habe. Leider.«
»Wann warst du zum letzten Mal dort?«
»Vor Jahren. Ich machte einen Ausflug mit meinem Bruder und Colonel Anhalt. Und ungefähr vierzig Mitgliedern meines Hofstaats. Aber eines Nachts schlich ich mich davon, nur mit dem guten Colonel Anhalt als meinem Leibwächter. Er sagte mir, dass ich die Wüste erfahren sollte, ihre Einsamkeit und Schönheit. Er sagte, sie hätte mich viel zu lehren. Er ist so ein wunderbarer Mann. Eine ständige Präsenz in meinem Leben.« Sie seufzte ein wenig melancholisch und blickte hinaus über die Wellen. »Wir ritten zu einer Oase, wo er mir die Namen der Sterne erklärte. Es war so schön. So weit und wild. Die Sterne und der Mond. Der Wind. Ich kann es
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