Schattenprinz
Diskussionen und Gemurmel. Sie waren in bürgerlichen Zwirn gekleidet, mit Zylindern und perlgrauen Gamaschen, und die meisten von ihnen trugen Bärte und dicke Koteletten. Umgeben waren sie von der opulenten Architektur des Zweiten Kaiserreichs, den Überbleibseln einer Zeit, als die Menschen auf dem Kontinent nur einander zu bekämpfen hatten.
Der Bürgermeister, ein überarbeiteter und unterqualifizierter Beamter, erhob sich müde. Nur seine auffallend rote Schärpe und das Blumensträußchen vorne an seinem Zylinder zeichneten ihn als Anführer aus. Mit erhobenen Händen bat er um Ruhe. »Bitte, M essieurs, bitte. Lassen Sie uns Ruhe bewahren. Vampire sind nichts Neues in dieser Gegend. Wir sind vorbereitet. Ich werde sofort die Miliz aufrufen.« Sein gerötetes Gesicht bebte, als er sich zu Colonel Anhalt umwandte, der stocksteif auf seinem Stuhl auf der Estrade saß. »Das ist höchst beunruhigend. Wir hatten seit vielen Jahren keinen so großen Angriff mehr.«
Der kaiserliche Kommandant hob leicht die Hand. Als der Raum verstummte, stand er mit quälender Langsamkeit auf, um bewusst Gelassenheit auszustrahlen, eine Besonnenheit, nach der sich diese Menschen sehnten. In ausgezeichnetem Französisch sagte er: »Die Vampirarmee hat sich nach Norden zurückgezogen. Sie hatten eine Mission, und diese Mission wurde erfüllt. Das waren keine winterlichen Plünderer. Ich stimme vollkommen zu, dass es klug wäre, Ihre Bürger zu alarmieren. Und benachrichtigen Sie die abgelegenen Städte und Dörfer, auf der Hut zu sein. In den nächsten ein, zwei Wochen könnten sich noch vereinzelte Nachzügler in der Gegend aufhalten.«
»Colonel Anhalt«, dröhnte eine Stimme vom Parkett herauf, »was war die Absicht dieser Vampire?« Die Stimme gehörte einem großen und lauten prominenten Kaufmann. Im Raum wurde es verhältnismäßig still aus Respekt für den Koloss, der seinen gewaltigen Schnurrbart zwirbelte und an der goldenen Uhrenkette zog, die vorwitzig aus der Tasche seiner Seidenweste ragte. Demonstrativ drehte er an kleinen Knöpfen seiner aufwendigen Taschenuhr und zog ihren komplexen Anzeigeschirm zurate.
Der Soldat wartete, bis sich die Blicke aller von dem großen Mann lösten und zu ihm zurückkehrten. Sobald er wieder im Mittelpunkt von Aufmerksamkeit und Autorität stand, antwortete er: »Sie haben eine kaiserliche Flotte angegriffen.«
Im Raum brach ein wilder Sturm der Bestürzung aus. Bürgermeister Comblain lief sogar noch röter an, und die Kinnlade fiel ihm herunter, als stünde er kurz vor einem Schlaganfall. »Sie haben kaiserliche Truppen angegriffen? Und das auch noch völlig unverhohlen! Wie ungeheuerlich! Wie schrecklich! Wenn sie das gewagt haben, was sollte sie davon abhalten, über unsere Stadt herzufallen? Herrscht jetzt Krieg? Welcher Clan ist dafür verantwortlich? Genf? Paris? Was sollen wir tun?«
»Colonel«, rief der rundliche Kaufmann. »Kennen Sie die Namen der Schiffe, die in der Schlacht beschädigt wurden?« Er besaß die große Mehrheit der Schiffe, die Marseille von den kaiserlichen Depots in Alexandria, Zypern und Malta aus anliefen. Der Gedanke, dass seine Waren von Vampiren, die sich nicht um die harte Arbeit eines Mannes scherten, über das ganze Land verstreut worden waren, entsetzte ihn. Er klickte sich erneut durch das Anzeigefenster seiner Uhr und überprüfte die Liste der Konvois, die zur Zeit des Angriffs in der Gegend gewesen sein könnten.
Anhalt kniff vor Erschöpfung die Augen zusammen. Der Gestank von Schweiß und Furcht in diesem Raum verursachte ihm Kopfschmerzen. Erneut hob er um Ruhe bittend die Hand, während der Bürgermeister seinem Sekretär wortreich Anweisungen erteilte, mehr Männer in die Miliz einzuberufen und Bestellungen für den Kriegsnotfall an die örtlichen Fabrikanten auszugeben.
»Bitte, beruhigen Sie sich!«, beschwichtigte Anhalt. »Es war kein Handelskonvoi.« Der Kaufmann stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, doch man musste ihm zugutehalten, dass er seinen besorgten Gesichtsausdruck beibehielt, als der Soldat fortfuhr. »Die Beute, auf die die Vampire es abgesehen hatten, war Ihre Kaiserliche Hoheit, Prinzessin Adele.«
Das ängstliche Gemurmel im Saal erstarb zu verwirrtem Schweigen. Manche waren regelrecht überwältigt, dass einer so mächtigen und vermeintlich privilegierten Person eine solche Tragödie widerfahren war. Mehrere Männer bekreuzigten sich, als plötzlich der Gedanke an eine blutleere Prinzessin Adele im
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