Schattenprinz
Saal umherschwirrte. Andere belächelten die Geste.
Schnell versuchten die Ratsherren die politischen Auswirkungen dieser schockierenden Nachricht zu kalkulieren. Marseille war nicht Teil des equatorianischen Reiches, es war ein unabhängiger Stadtstaat, deshalb hatten sie keineswegs ihre eigene zukünftige Kaiserin verloren. Dennoch handelte es sich bei Equatoria um einen riesigen Staat mit großem Einflussbereich. Marseille war auf den Handel mit dem Reich angewiesen und gelegentlich auch auf dessen Feuerkraft. Viele fürchteten außerdem, dass das große Kaiserreich trügerisch zerbrechlich war. Ein Erbfolgestreit aufgrund des Todes der Thronerbin konnte einen Machtkampf herbeiführen, der das Reich zerschlagen und die gesamte Hemisphäre destabilisieren würde.
Die kontinentalen Stadtstaaten wie Marseille hatten guten Grund, sich zu wünschen, dass das allgemein wohlwollende Equatoria weiterhin mächtig blieb. Zum Beispiel fürchteten viele Städte des ehemaligen Frankreich das Königreich Outremer, das der verrückte Louis Napoleon IX. von Algerien aus regierte und das die Nachkommen der Fremdenlegionäre kontrollierten. Die Stadtväter Marseilles verteidigten eifersüchtig ihre Unabhängigkeit gegen die fanatischen Legionäre, die glaubten, den wahren Bourbonenkönig in ihrem von der Sonne ausgedörrten Land im Griff zu haben. Sie verließen sich darauf, dass die Bedrohung durch equatorianische Macht die Legion hinter ihren algerischen Mauern hielt.
Noch weiter im Süden hatten die größten afrikanischen Königreiche Bornu und Katanga in den letzten zwei Jahrzehnten Anzeichen von Expansionismus gezeigt. Ein Zusammenbruch des Reiches wäre für den mächtigen König Msiri von Katanga eine Einladung, das Einzugsgebiet des Nil zu erobern und die blutigen Kriege um die Gold- und Kupferabbaugebiete am Sambesi wiederaufleben zu lassen. Viele hatten außerdem das Gefühl, dass die Zulu in der an Bodenschätzen reichen, aber aufsässigen Kapprovinz leicht eine unabhängige Militärmaschinerie aufbauen und ein geschwächtes Equatoria sowie viele weitere Territorien verschlingen könnten.
Mit einem Gefühl der Erleichterung sagte der Bürgermeister: »Nun, Kaiser Constantine hat noch einen Sohn. Wenn wir also auch um dieses arme, arme Mädchen trauern, ist die kaiserliche Erbfolge dadurch zum Glück nicht gefährdet.«
»Der Junge, den ich hergebracht habe, ist der Sohn des Kaisers«, sagte Anhalt. Wieder einmal brach der Ratssaal in panische Diskussionen aus, die von Wut und der Furcht dominiert waren, dass eine Vampirstreitmacht auf der Suche nach dem kaiserlichen Prinzen über Marseille herfallen würde. Mit lauterer Stimme rief der Colonel: » Messieurs, es gibt nichts zu befürchten. Die Vampire suchen nicht nach dem Jungen. Doch das Reich wird nach ihm suchen, wenn die Nachricht von der Katastrophe seine Grenzen erreicht. Wenn Sie um politische Stabilität besorgt sind, dann wäre es in Ihrem Interesse, eine Situation zu vermeiden, in der es so aussieht, als sei der Kaiser beider Erben beraubt. Ich möchte Sie deshalb inständig bitten, meine Botschaft an den kaiserlichen Stützpunkt auf Malta weiterzuleiten. Ich brauche zudem ein Schiff, um Prinz Simon nach Alexandria zurückzubringen. Danach werde ich unverzüglich eine Armada zusammenstellen, um Prinzessin Adeles Entführer zu verfolgen.«
»Aber sie ist doch sicher bereits tot«, wandte Bürgermeister Comblain ein.
»Wir sollten in der ganzen Stadt eine Gebetswache organisieren«, platzte ein großer Mann in den vorderen Reihen heraus. »Vielleicht könnte der Erzbischof …«
Sein Einwurf ging in Stöhnen und höhnischen Buhrufen unter.
»Messieurs«, rief der mürrische Kaufmann dröhnend vom Parkett. »Ich schlage vor, dass wir ein Komitee bilden, um zu erwägen, welche Belohnung wir vom dankbaren kaiserlichen Hof für die Wiederbringung des offenkundig neuen Thronerben zu erwarten haben. Es wäre mir eine Freude, den Vorsitz dieses Komitees zu übernehmen.«
Anhalt deutete mit dem Finger auf den aufgeblasenen Geschäftsmann. »Sie werden den Jungen nicht für eine Erpressung benutzen.«
»Wer sind Sie, dass Sie es wagen, so mit mir zu sprechen? Mir liegen nur die Interessen dieser Stadt am Herzen.«
»Bitte! Bitte!«, schaltete sich der Bürgermeister hastig ein und streckte eine zitternde Hand nach Anhalt aus. »Wir sind alle vielmals dankbar für die Unterstützung, die das Reich nicht nur unserer schönen Stadt, sondern vielen freien
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