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Schattenprinz

Schattenprinz

Titel: Schattenprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clay und Susan Griffith
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der einen Menschenkopf mit langem, lockigem Bart hatte, hielten sie an.
    »Prachtvoll.« Langsam strich Gareth mit der Hand an der massiven Steinflanke entlang. »Aber warum erschafft man so etwas? Ich verstehe, dass man Werkzeuge und Waffen herstellt. Das hat einen Sinn. Aber das hier? Es muss enorme Anstrengung gekostet haben. Zu welchem Zweck?«
    Adele antwortete nicht. Interessierte er sich tatsächlich für menschliche Kultur? Er wirkte aufrichtig, und es fiel ihr schwer zu glauben, dass sich ein Vampir so gut verstellen konnte. Es lag einfach nicht in ihrer Natur. Das wäre, als heuchle eine Katze Interesse an komplizierten Strickmustern, nur um letztendlich das Wollknäuel in die Pfoten zu bekommen.
    Gareth schien über ihr Schweigen nicht beunruhigt zu sein. Der Prinz hatte zu viele Fragen, um sich wegen einer einzigen Gedanken zu machen. Schnell bog er durch eine andere Tür ab, Adele dicht auf seinen Fersen. Als sie einen riesigen, steinernen Kopf umrundeten, der mit dem Gesicht voran auf den Boden gefallen war, deutete Gareth zu der kolossalen ägyptischen Figur eines Mannes empor, einem Rumpf aus rotem Granit, dessen Haupt teilweise abgetrennt war.
    »Da«, sagte er. »Siehst du? Das ist außergewöhnlich. Warum hat man ihn so groß gemacht?«
    Adele erkannte das Monument sofort. Ein antiker Pharao aus ihrem Heimatland, der hier in London verfiel. An diesem Ort hatte er keine Macht. Er sollte im Victoria-Palast in Alexandria stehen. Schließlich war ihr Vater der Erbe der Pharaonen. So wie sie.
    »Wie war sein Name?«, fragte Gareth. »Weißt du das?«
    »Ramses.« Adele konnte nicht anders. Daran war ein gewisses Maß an Familienstolz nicht unschuldig. »Er war der größte Herrscher seiner Zeit. Einer der größten aller Zeiten. Der König von Ägypten.«
    »Ramses war aus Ägypten«, sinnierte Gareth. »Warum steht seine Statue hier? Hatten die Briten große Achtung vor ihm? Regierte er hier ebenfalls?«
    »Nein. Er ist schon lange tot. Als Ramses regierte, war Großbritannien von Wilden bevölkert. Wie jetzt. Aber als die Briten zivilisiert waren, fanden sie die Statue in Ägypten und brachten sie hierher. All die Dinge hier wurden von Engländern hergebracht, die ein Interesse an der Menschheit hatten.«
    »Dann waren die Ägypter zu Wilden geworden?«
    Adele antwortete nicht. Sie starrte die unsterbliche Statue an. Dann bemerkte sie auf dem Steinsockel Worte. Sie waren in verblassten roten Buchstaben, vielleicht sogar vor vielen Jahren mit Blut geschrieben worden. »Seht meine Werke, Mächt’ge, und erbebt.« Wie eigenartig. Wie traurig. Und wie wahr.
    »Wie alt bist du?«, fragte Adele Gareth unvermittelt.
    »Was?«
    »Wie alt bist du? Leben Vampire ewig?« Sie wollte den Granitsockel des großen Pharao berühren, zögerte dann aber. »Hast du schon gelebt, als er lebte?«
    »Natürlich nicht. Diese Statue ist dreitausend Jahre alt. Aus dieser Zeit sind keine Vampire mehr am Leben.«
    »Woher kannst du denn wissen, wie alt sie ist?« Adeles Blick fiel auf eine vermodernde Tafel, die am Steinsockel angebracht war und auf der als einzige lesbare Information ein Datum für den Koloss angegeben war. »Du kannst lesen!«
    »Wir wissen mehr über eure Geschichte, als ihr vermutet«, antwortete Gareth verteidigend. »Wir wissen mehr über euch als ihr über uns. Die Menschen glauben, Vampire seien ihre eigenen wieder zum Leben auferstandenen Toten. Das ist haarsträubend eitel.«
    »Wechsle nicht das Thema«, versetzte Adele. »Nur ungebildete Leute glauben dieses Märchen über die Untoten. Wir wissen, was ihr seid. Parasiten. Und ich weiß, dass sich eure Art nicht um menschliche Kultur oder Geschichte schert. Dein Bruder Cesare hat das deutlich gemacht. Er würde Süleyman den Prächtigen oder Julius Cäsar nicht einmal erkennen, wenn er sich von ihnen nähren würde. Aber du bist anders, nicht wahr? Du kannst lesen, obwohl deinesgleichen Lesen und Schreiben zutiefst verachten. Cesare hat das gesagt.«
    »Vielleicht solltest du nicht alles glauben, was Cesare sagt.«
    Verwirrt zog Adele eine Augenbraue hoch. »Ich frage mich, was dein Bruder denken würde, wenn er wüsste, dass der Erbe des Clans menschliche Schrift lesen kann? Das klingt nicht nach einem angemessenen Verhalten für einen Vampirkönig.«
    Zum ersten Mal starrte Gareth sie mit einem Ausdruck an, der ihr Angst einjagte. Dann wandte er sich so jäh ab, dass der Saum seines langen Gehrocks peitschend knallte, und schritt durch

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