Schattenreiter
Melodie. Rhythmisch, stark, aber auch melancholisch.
Seine Hand fuhr so sanft über meinen Nacken, als würden seine Fingerspitzen über meiner Haut schweben und nur die feinen Härchen berühren. Ein wohliger Schauer lief mir über den Rücken.
Grillen zirpten im Gras, und ein Wiehern hallte in der Ferne. Rins Lippen gingen auf Wanderschaft, strichen über meine Wange und dann über meine Schläfe. Jeder Kuss hinterließ ein sinnliches Prickeln auf meiner Haut.
»Sieh nur«, flüsterte er und deutete über die Steppe.
Ich öffnete die Augen und blickte über seinen ausgestreckten Arm hinweg. Etwas bewegte sich, kam in rasender Geschwindigkeit näher. Der Boden unter uns vibrierte. Ich hörte ein Trappeln. Und dann erkannte ich sie. Eine Herde Wildpferde. Anmutig galoppierten sie über die Graslandschaft. Ihre Bewegungen waren kraftvoll und leicht zugleich. Fast schien es, als würden sie fliegen.
»Sie sind wunderschön«, sagte ich leise.
Rin schloss beide Arme um mich. »Die Spanier haben sie mitgebracht. Vor mehr als fünfhundert Jahren. Es waren Hauspferde, die verwilderten. Ich schaue sie mir gern an. Sie erinnern mich daran, wie kostbar das Gut der Freiheit ist und dass ich sie niemals aufgeben werde.«
Unter den Tieren entdeckte ich ein Fohlen, das den Anschluss verloren hatte. Das Muttertier blieb stehen und wartete, bis es sie eingeholt hatte.
»Wildpferde sorgen füreinander. Niemals lassen sie ein Jungtier zurück.«
Ich beobachtete, wie die Stute liebevoll ihren Kopf an dem des Jungen rieb. »Sie haben etwas ungemein Friedliches an sich.«
»Sie sind friedlich, wenn man sie in Ruhe lässt.«
Der kühle Nachtwind strich über die Gräser und wiegte sie sanft. Mir wurde kalt. Rin, ganz Gentleman, zog seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern.
»Wo hast du die eigentlich her?« Ich zog sie eng an mich und nahm den eigenwilligen Duft auf.
»In meinem Schrank gefunden«, erklärte er.
»Sie riecht nach Larki. All deine Sachen riechen nach Pferd. Wie kommt das?«
»Ich bin viel in der Natur.«
Er schlang seine Arme fester um mich. Zärtlich strich er mir übers Haar, während ich mich leicht nach vorn beugte, um die Jungpferde zu beobachten, die ausgelassen über die Wiese tobten, miteinander spielten. Die Älteren ließen es ruhiger angehen. Die Hengste blieben wachsam, die Stuten grasten gelassen. Obwohl ich michnie mit diesen Tieren befasst hatte, erschienen sie mir plötzlich so nah und greifbar. Es war, als gewährten sie mir einen Einblick in das Leben in der Wildnis. In ihre Welt. Und ich war enttäuscht, als sie weiterzogen.
»Kommen sie wieder hierher?«, wollte ich wissen und drehte den Kopf zu Rin.
»Vielleicht. Wenn der Wind sie in unsere Richtung treibt.«
Ich blickte über das weite Land, die schaukelnden Farne und Gräser und wurde müde. Laub raschelte. Vögel zogen über den Horizont. Die Augen fielen mir zu. Rins Jacke wärmte mich wie eine Decke. Es war so angenehm warm unter ihr, dass ich auf der Stelle hätte einschlafen können. Hier, mitten in der Natur. Auf dem freien Feld. In Berlin hätte ich mich das nie getraut, mich nicht sicher genug gefühlt. Aber hier war alles anders.
»Pssst, Jorani«, flüsterte jemand in mein Ohr. »Aufwachen. Es ist schon spät.«
Ich rieb mir die Augen und war verwundert darüber, dass seine Jacke neben mir lag. Sie musste heruntergefallen sein, und ich hatte es gar nicht gemerkt. Die Sterne über uns schienen erst jetzt richtig aufgegangen zu sein. Es war kalt und dunkel um uns herum. In der Ferne hörte ich das allgegenwärtige Zirpen der Grillen.
»Du bist eingeschlafen«, sagte Rin und half mir hoch. Ich hob seine Jacke auf, gähnte und streckte mich, verwundert darüber, wie fest ich geschlafen hatte. »Jetzt wird es Zeit zu gehen«, sagte er.
Rin hatte recht. Es war bestimmt schon nach Mitternacht.
Wir folgten den Gleisen zurück nach Calmwood. Obwohl mir Rin seine Jacke gegeben hatte, die mir viel zugroß war, war mir kalt, also beeilten wir uns. Rin bestand darauf, mich zum Desert Spring zu bringen.
Aber wir wurden aufgehalten.
Ich weiß nicht genau, was sie am Stadtrand zu suchen hatten. Vielleicht hatten sie auf uns gewartet. Oder es war ein Zufall, dass wir ihnen dort über den Weg liefen. Sie stanken nach Alkohol und waren aggressiv. Es war offensichtlich, dass sie Streit suchten. Und wir waren die perfekten Opfer.
Schnell hatten sie uns eingekreist. Sie trieben uns ein Stück weit in die Steppe hinein,
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