Schattenreiter
vergaß ich, dass wir keine Zeit zu verlieren hatten.
Ich gab Gas, und wir fuhren nach Norden. Kurz darauf befanden wir uns auf dem Highway nach Rapid City.
Rids Hände berührten meinen Bauch. Und die Schmetterlinge begannen, sich heftiger zu bewegen.
»Ich kenne eine Abkürzung«, raunte er mir ins Ohr. »Hier bitte links abbiegen.«
»In Ordnung.«
Er hatte mich reingelegt. Die Straße führte nicht nach Rapid City, sondern in die Wälder. Genauer gesagt, zu einer verlassenen kleinen Hütte am Waldrand. Das Dach war aus Brettern zusammengenagelt, und die Wände wirkten so dünn, dass sie mit Sicherheit keinem starken Wind standhalten würden.
Rin stieg ab und ging zu der niedrigen Hütte, die bei näherer Betrachtung krumm und schief wirkte.
Ich schaltete den Motor aus. Das ist unverantwortlich, wollte ich sagen, stattdessen folgte ich ihm in die Hütte. Sie bestand aus einem großen Raum, der zugleich Wohn- und Schlafzimmer war. Er war gemütlich eingerichtet. Kleine Läufer auf den Dielen, Perlenketten vor den Fenstern. Rin hatte keinen Fernseher, aber ich entdeckte ein Radio auf der Kommode. Darüber hingen einige von seinen Shi-ru’u.An der Seite befand sich eine kleine Küche mit Speisekammer und Kochmöglichkeit. Außerdem gab es ein winziges Badezimmer mit Toilette und Dusche.
Rin steuerte auf die Couch zu, klappte sie aus und verwandelte sie mit wenigen Handgriffen in ein Bett. Das Polster war abgeschabt, und an einigen Stellen lugte sogar die Füllung heraus. Rin breitete eine Wolldecke darüber. Dann knöpfte er sein Hemd auf und warf es zu Boden, so, als wäre ich gar nicht anwesend. Ich blieb abrupt stehen und wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Nein, eigentlich wusste ich das sehr genau, und ich tat es unverblümt. Aus Neugier, ob er unter der Kleidung genauso hinreißend aussah. Breite Schultern und ein muskulöser Rücken kamen zum Vorschein. Die seidig schimmernde Haut war leicht gebräunt.
»Fühl dich wie zu Hause«, sagte er und legte sich auf die Schlafcouch. Beim Anblick seines ansehnlichen Oberkörpers wurde mir augenblicklich heiß.
Rin sah im Gegensatz zu den anderen Jungen in der Gegend wie ein Mann aus, nicht wie ein Teenager. Ein paar dunkle Haare kräuselten sich auf seiner Brust. Nicht zu viel, nicht zu wenig, so, wie ich es mochte.
Mir wurden die Knie weich. Ich setzte mich sicherheitshalber auf den mit Flicken versehenen Sessel.
»Hier lebst du also«, brachte ich hervor. Es war deutlich gewöhnlicher, als ich erwartet hatte. Meine Kehle fühlte sich trocken an. Verdammt trocken.
»Ja.«
Ich liebte dieses schmale Gesicht und die kräftigen Haare, die es einrahmten. In seinen Augen lag stets ein geheimnisvoller Glanz. Doch in diesem Moment war er stärker denn je.
»Ich habe alles so übernommen, wie du es hier siehst«, erklärte er mir.
»Du hast die Hütte jemandem abgekauft?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie war verlassen, also bin ich eingezogen. Ein Mann lebte vor mir hier.«
»Was wurde aus ihm?«
»Weiß nicht. Aber er muss sehr einsam gewesen sein. Ich fand nur Sachen von ihm, nichts, was auf Frau und Kind hingedeutet hätte. Vielleicht ist er in die Stadt gegangen.«
Ich nickte. Mir war inzwischen klar, dass ich ihn vermutlich knebeln und fesseln müsste, um ihn ins Krankenhaus zu bekommen. Ein völlig hoffnungsloses Unterfangen. Aber vielleicht gab es eine andere Möglichkeit, das Problem zu lösen.
»Hast du Verbandszeug?«
»Im Bad hab ich eine Apotheke.«
Ich fand einen aufgerollten Verband und auch Klammern, um ihn zu befestigen. Mein Herz klopfte ungestüm, als ich mich neben Rin setzte, seinen wilden Geruch aufsog und ihm ganz vorsichtig den Verband anlegte. Er hielt still, half mir sogar, indem er leicht den Arm hob. Gegen das Krankenhaus sträubte er sich, aber er hatte offenbar nichts dagegen, wenn ich ihn versorgte.
»Sieht nicht mehr so schlimm aus, oder?«
Das stimmte. Die Wunde hatte sich erstaunlich schnell geschlossen. Vielleicht hatte ich wirklich übertrieben.
Das sanfte Braun seiner Arme schimmerte seidig. Die Farbe erinnerte an Karamell. Unauffällig versuchte ich, seine Haut zu berühren, während ich den Stoff um seinen Arm wickelte. Sie war so wunderbar weich.
»Danke«, hauchte er, nachdem ich den Verband mit den Klammern fixiert hatte. Seine Hand strich mir eine Locke aus dem Gesicht. Warm und so zart wie ein Blütenkelch umschlossen seine weichen Lippen die meinen. Ich hielt den Atem an. Oh ja, sie schmeckten wirklich
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