Schattenreiter
Kopf. Ich bekam keine Luft. Meine Hände versuchten, nach dem Seil zu greifen, griffen jedoch ins Leere. Eng legte es sich um meinen Hals, schnitt mir ins Fleisch. Warmes Blut rann über meine Haut.
»Bitte nicht.« Ich weinte hemmungslos. Da riss er mich mit einem einzigen kräftigen Ruck am Ende des Seils auf die Beine. Es schnürte mir die Kehle zu.
Kronn lachte teuflisch und legte all seine Kraft in den nächsten Zug. Ich hob mich ein Stück weit in die Luft,so dass nur noch meine Zehenspitzen den Boden berührten. Nun geriet ich vollends in Panik und zerrte mit beiden Händen verzweifelt an der Schlinge, doch konnte sie nicht lockern. Sie saß fiel zu fest.
»Kronn, tu es nicht …«, stöhnte Rin und bäumte sich ein weiteres Mal auf. Erneut bewegte sich der mächtige Baum über ihm. »E’neya, hepokat-mii … hepokat-mii.« Er sammelte alle seine Kräfte, um den Baumstamm hochzustemmen. Sein Gesicht war vor lauter Anstrengung verzerrt. Dicke Sehnen traten an seinen Armen und seinem Hals hervor. Die Zähne waren fest zusammengepresst, Schweiß lief ihm über die Schläfen, tropfte an seinen Schultern herunter. Ein öliger Schimmer überzog die glänzende Haut. Er grub die Finger in die Erde, krallte sich mit beiden Händen fest. Der Baum bewegte sich stärker. Ihm gelang es, einen Hinterlauf frei zu bekommen.
»E’neya, hepokat-mii«, brüllte er und schrie seinen Schmerz heraus.
Kronn drehte sich zu ihm um und beobachtete das Schauspiel. »Ich gerührt davon, wie du kämpfen, obwohl du kein Krieger sein, Rin«, sagte er amüsiert.
Dann ruckte sein Kopf zu mir herum, und ich sah den Tod in seinen Augen aufblitzen. Mit aller Kraft zog er an dem Seil, und meine Füße verließen den Boden. Ich hing in der Luft. Meine Beine zappelten, suchten nach Halt, während ich nach Atem rang, doch die Luft erreichte meine Lungen nicht. Mein gesamtes Gewicht hing an meinem Hals. Ich hörte Kronns fernes Lachen. Sein Gesicht war auf meiner Augenhöhe. Hohn, Spott und sadistische Freude spiegelten sich in seinen Zügen. Ich wusste, jetzt würde ich sterben. Bilder zogen an meinem geistigen Auge vorbei. Erinnerungen. Ich sah meine Kindheit, meine Einschulung, Mom und Dad. Nein! Ich wollte leben. Verzweifelt versuchte ich, mich gegen das Unvermeidliche zu wehren. Meine Finger schoben sich unter das Seil, aber sie konnten es nicht von meinem Hals lösen. Mir schwindelte. Mein Herz raste. Sollte Kronns schreckliche Fratze das Letzte sein, was ich zu Gesicht bekam? Sein grausames Lachen widerte mich. Aber dann wandelte es sich, und sein Blick wurde starr, die Mimik gefror zu einer Maske. Ich verstand nicht, was geschehen war, spürte nur, wie sich das Blut in meinem Kopf staute. Abrupt ließ er das Seil los, stürzte zu Boden und schlug schwer wie ein Stein auf, so dass die Erschütterung den ganzen Wald erzittern ließ. Auch ich fiel herunter, schlug mir die Knie auf. Das Seil löste sich, erlaubte mir zu atmen.
»Du bist ebenfalls kein Krieger, Kronn. Ein Krieger hat Ehre im Leib.«
Rin stand über Kronn. In seiner Hand lag der Speer. Die Spitze war blutrot. Ich war erleichtert, unendlich erleichtert. Ich spürte, dass mich jemand von dem Strick befreite, mich hochnahm und an sich drückte.
»Alles wird gut, Jorani.«
Rins Stimme war so unendlich fern. Alles um mich herum trat in den Hintergrund. Ich versuchte, wach zu bleiben, aber Dunkelheit umfing mich.
11. K APITEL
A rme Jorani. Ich wünschen mir, ich schneller bei euch gewesen sein.«
»Es ist gut, dass du uns überhaupt gefunden hast.«
Man legte mich nieder. Ich hörte ferne Stimmen, die klangen, als hätte ich Watte in den Ohren. Ein seltsamer Hall lag auf ihnen, verzerrte sie. Aber ich erkannte sie dennoch. Sie gehörten Rin und Hevova.
Mein Körper fühlte sich schwer und unendlich müde an. Ich war zu schwach, um die Augen zu öffnen, und erinnerte mich nicht daran, was geschehen oder wie ich hierhergekommen war.
»Was ist mit Kronn?«
»Ich habe ihn verwundet und dachte, er sei außer Gefecht. Dann sprang er plötzlich auf und floh, der elende Feigling.«
»E’neya uns beistehen möge, es klingt wie Schwierigkeiten. Doch sag, wie es dir geht, Jaknuri?«
»Das ist jetzt nicht wichtig. Meine Sorge gilt Jorani. Alles ist meine Schuld. Ich hätte sie nicht in die Black Hills bringen dürfen, solange Kronn noch hier war.«
Ich wurde zugedeckt. Jemand griff nach meiner Hand und hielt sie fest.
»Du dir keine Vorwürfe machen. Du nicht ahnen können,
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