Schattenreiter
sogleich von den Wassermassen erstickt, die mich in sich einhüllten. Kronn zog mich hinter sich her durch den See. Ich versuchte, mich zu befreien, das Seil zu lösen, aber alles ging so verdammt schnell, dass ich kaum wusste, wie mir geschah. Ich strampelte wie irre mit den Beinen, nutzte jeden kurzen Moment an der Oberfläche, um kräftig nach Luft zu schnappen. Das Wasser spritzte meterhoch auf, um gleich darauf wieder über mich hinwegzuschwappen.
Kronn gallopierte ans Ufer und zerrte mich hinter sich her. Gräser und Zweige peitschten mir ins Gesicht. Ich klammerte mich an dem Seil fest und versuchte, es über meinen Kopf zu streifen, doch das war unmöglich. Es lag viel zu eng um meine Brust. Hinter uns spritzte das Wasser erneut einer Fontäne gleich in die Höhe.
Rin war ebenfalls in den See gesprungen und folgte uns im Körper eines Kentauren. Wendig sprang er durch die Wassermassen und zog einen Schweif aus feuchten Perlen hinter sich her. Aber er drohte den Anschluss zu verlieren. Kronn schlug Haken und zog mich erbarmungslos hinter sich her, völlig gleich, ob Büsche oder Sträucher unseren Weg versperrten.
Der dünne Stoff von T-Shirt und Jeans riss auf. Blut benetzte meinen Bauch und die Beine. Ich schrie, weinte, aber Kronn kannte kein Erbarmen. Er würde mich zu Tode schleifen. Die Schmerzen wurden unerträglich. Steine und Äste bohrten sich in mein Fleisch. »Anhalten, bitte!«, schrie ich, aber er lachte nur.
Ich hielt diese Schmerzen nicht länger aus, glaubte, dass mir sämtliche Knochen zerbarsten. Mein Körper war eine einzige große Wunde.
In meiner Verzweiflung wandte ich den Kopf, in der Hoffnung, Rin hätte zu uns aufgeschlossen und würde mich gleich aus den Fängen dieses Irren befreien. Aber Kronn hatte ihn abgehängt. Meine Hoffnung starb. Tränen raubten mir die Sicht. Es brauchte einen Moment, ehe mir gewahr wurde, dass der Schatten über meinen Augen nicht allein der verschwommenen Sicht geschuldet war, sondern dass mir tatsächlich die Sinne schwanden.
Und dann spürte ich nichts mehr, war nur noch wie eine fühllose Puppe, die tiefer und tiefer in den Wald gezerrt wurde. Eine Wurzel schlug gegen meine Stirn. Warmes Blut lief über mein Gesicht. Aber ich hatte kaum Schmerzen. Wurde ich ohnmächtig? Ich hoffte es zumindest.
Plötzlich hörte ich einen Schrei, der mich aus meinem betäubten Zustand befreite, und Kronn hielt an. Gleichzeitig breitete sich ein entsetzlicher Schmerz in meinen Gliedern, in meinem ganzen Körper aus. Es brannte wie Feuer. Erschöpft hob ich den Kopf. Das Seil spannte nicht mehr, er hatte es losgelassen. Etwas, oder viel mehr jemand, hatte ihn abgefangen und sich mit voller Wucht auf ihn gestürzt. Ich wusste, dass es Rin war. Ich konnte seine Nähe fühlen. Er musste ihn überholt haben. Ein wilder Kampf entbrannte.
»Okbroro!«, schrie Kronn und nahm einen Speer von seinem Rücken, den er bedrohlich durch die Luft wirbelte.
»Lauf weg, Jorani!«, vernahm ich Rins Stimme, doch sie klang fern und unwirklich, wie alles um mich herum. »Lauf!«
Ich wollte, aber ich konnte nicht. Ich war zu schwach,um mich aufzurichten. Meine Beine gehorchten mir nicht. Gott sei Dank versagten mir meine Hände nicht auch noch den Dienst. Ich packte das dicke Seil, das sich wie eine Würgeschlange eng um meinen Brustkorb gespannt hatte und mich zunehmend daran hinderte zu atmen. Es kostete mich meine ganze Kraft, das Lasso über meinen Kopf zu ziehen, und als es geschafft war, war ich so erschöpft, dass ich nur noch über den Boden kriechen konnte. Ich zitterte überall, hatte kaum noch Gefühl in den Armen. Mir war heiß. Bestimmt hatte ich auch Fieber. Die Schmerzen waren unerträglich. So musste sich ein Delinquent zu früheren Zeiten gefühlt haben, den sie zur Strafe ausgepeitscht hatten. Kraftlos zog ich mich an einem Baumstamm hoch. Jeder einzelne Knochen in meinem Körper schmerzte, und als ich an mir heruntersah, bekam ich fast einen Schock. Blut, überall Blut. Auf meinem T-Shirt, an meiner Jeans. Löcher im Stoff. Darunter aufgerissene Haut, Striemen von peitschenden Zweigen, aufgeschlagene Knie von spitzen Steinen. Mein Kreislauf spielte verrückt.
»Lauf!«, rief mir Rin zu.
Die Männer kämpften besessen um den Speer, zerrten an ihm, bis das Holz leise knackte, als würde er entzweibrechen.
Ich konnte nicht. Es war ein Wunder, dass ich überhaupt aufrecht stand. Meine Beine zitterten ohne Unterlass.
Da stürzte sich etwas von oben auf Rin.
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