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Schattenreiter

Schattenreiter

Titel: Schattenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Nikolai
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die Zeit so schnell, wenn man sich am wohlsten fühlt?«, fragte er. Ich wusste keine Antwort darauf.
    In diesem Moment klopfte es an der Tür.
    »Erwartest du jemanden?«, fragte ich überrascht.
    »Eigentlich nicht. Ich sehe mal nach, wer das ist.«
    Rin schlüpfte aus dem Bett und schob eine vergilbte Gardine zur Seite, um aus dem Fenster zu schauen.
    »Das glaube ich nicht«, sagte er erstaunt und knetete nervös seine Finger.
    »Wer ist es?«
    »Hevova und …«
    »Und?«
    »Mein Vater. Der Siruwathi!«
    »Was? Der Häuptling des Stammes?« Nun fiel mir buchstäblich die Kinnlade herunter.
    Rin musterte mich. Auch ich blickte an mir herunter. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich halb nackt war. Das war ganz und gar nicht der Aufzug, in dem man einen Häuptling empfangen sollte.
    »Schnell, zieh dir etwas an«, bat er und schlüpfte selbst in seinen Bademantel.
    Ich suchte rasch meine Sachen zusammen, streifte meine Jeans und das T-Shirt über, da kam auch schon eine große Gestalt durch die Tür. Ich strich das Laken glatt und sorgte dafür, dass Rins Bett einigermaßen ordentlich aussah. Besser wäre es natürlich gewesen, das Bettzeug im Bettkasten zu verstauen und die Couch aufzubauen. Aber dafür blieb uns keine Zeit mehr.
    Der Häuptling war bereits in der Hütte. Rin verneigte sich vor ihm. Auch ich senkte ehrfurchtsvoll den Kopf und machte aus Verlegenheit einen altmodischen Knicks.
    Ich war erstaunt, wie groß der Mann war. Er überragte Rin um mindestens einen Kopf. In seinen grauen Haaren steckten unzählige Federn. Auch eine blaue, wie Rin sie verliehen bekommen hatte. Die Schultern des Häuptlings wirkten breit. Der Eindruck wurde durch das Fell, das durch eine Brosche auf seiner Brust zusammengehalten wurde, noch mehr verstärkt. Er hielt einen langen Stab in der Hand, der mit Ketten, Perlen und Federn verziert war. Auf dem oberen Ende thronte der Schädel eines Wildhundes.
    Hevova fiel neben dem Hünen kaum auf. Dabei war auch sie sehr feierlich gekleidet. Ihre Haare waren zu mehreren dünnen Zöpfen geflochten, und auf dem Kopf trug sie einen Kranz aus Federn. Ihr freundliches Lächeln vertrieb die Nervosität, die sich in mir breitgemacht hatte.
    Rin bot dem Häuptling mit einer Geste einen Stuhl an. Er selbst und Hevova nahmen auf der Couch Platz. Ich blieb stehen. Aus reiner Nervosität. Aber Rin nahm meine Hand und deutete auf den Platz in der Mitte, so dass ich zwischen ihm und Hevova saß.
    »Unser Vater, zum ersten Mal hier ist«, flüsterte sie mir ins Ohr.
    Interessiert blickte sich der Häuptling um, betrachtete die Masken an der Wand und die mit Federn verzierten Shi-ru’u.
    »Ihm gefällt, was sein Augen sehen«, raunte Hevova und zwinkerte mir zu. Mich freute es, dass er die Behausung seines Sohnes so wohlwollend aufnahm. Mir wäre jedoch wohler gewesen, wenn ich gewusst hätte, welchem Umstand wir seinen Besuch zu verdanken hatten. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es mit mir zu tun hatte. Schließlich musterte mich der Häuptling immer wieder mit seinen dunklen unergründlichen Augen, in denen Güte und Weisheit lagen.
    »Meine Tochter Hevova hat mir erzählt, was geschehen ist«, eröffnete er das Gespräch. Ich war von seinem ausgezeichneten Englisch überrascht. Seine Aussprache war nahezu perfekt, wenngleich seine Stimme leicht belegt klang. Er stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stab.
    »Sie sagte, Kronn habe euch angegriffen, weil ihr seiner Ansicht nach die alten Regeln der Ti’tibrin E’neya verletzt habt.«
    Rins Druck um meine Hand verstärkte sich. Es tat weh. So angespannt hatte ich ihn noch nie gesehen.
    »Die Gesetze verbieten eine Verbindung zwischen den Ti’tibrin und den Menschen. Es sind alte Gesetze, die vielen nichts mehr bedeuten, die aber ihre Gültigkeit nie verloren haben. Unsere Ahnen schufen sie – und das aus gutem Grund.«
    Der Blick des Häuptlings durchbohrte mich förmlich. Ich schrumpfte merklich zusammen, fühlte mich noch kleiner, als ich ohnehin schon war.
    »Doch wenn ich meinen Sohn anschaue, dann sehe ich seine Zuneigung für dich. Ihr seid jung, neugierig auf das Leben, aufeinander. Und gerade die Tatsache, dass ihr so verschieden seid, zieht euch zueinander hin.« Ein kleines Lächeln umspielte die spröden Lippen des Häuptlings. Ich war überrascht von dem Verständnis, dass er uns entgegenbrachte. Es schien, als könne er nachvollziehen, wie es in mir aussah.
    »Die Ti’tibrin E’neya glauben, dass alles, was geschieht,

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