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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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wurden trübe, während sie nachdachte. Fast so, als blicke sie geradewegs in die Vergangenheit. »Ich schätze, es werden so ungefähr dreihundert oder vierhundert Euro gewesen sein, die sie abgehoben hatte. Überwiegend kleine Scheine, wenn ich mich recht besinne. Vermutlich der Teil ihrer Rente, den sie zum Leben braucht.« Ihr Blick klärte sich wieder, und sie sah Verhoeven an. »Ich kenne den Typ«, sagte sie. »Ältere Damen, die gleich am Monatsanfang alles auf einmal abheben, weil ihnen die Automaten nicht geheuer sind. Und die andererseits keine Lust haben, alle Naslang auf die Bank zu rennen.«
    Verhoeven nickte, als ihm plötzlich einfiel, dass Anna es immer ganz ähnlich gehandhabt hatte. Und das nicht erst, seit sie alt war.
    Seine Pflegeeltern hatten stets einen nicht unbeträchtlichen Vorrat an Bargeld im Haus gehabt, und bis auf eine einzige Ausnahme hatte es nie einer ihrer Zöglinge gewagt, das Geld zu nehmen und einfach davonzulaufen. Trotz der Bedingungen, unter denen die Kinder dort hatten leben müssen.
    »Und die Frau nannte den Namen Malina, bevor Sie sich zu ihr umgedreht haben?«
    Britta Karlstadt nickte. »Aber nennen ist vielleicht doch der falsche Begriff dafür.«
    »Könnte sie jemanden angesprochen haben?«
    »Angesprochen?« Die junge Mutter bekaute nachdenklich ihre Unterlippe, während ihr Sohn auf ihrem Schoß im Schlaf mit den Beinchen strampelte. »Nein, ich glaube, das würde sich irgendwie anders angehört haben. Und ...« Ihr Blick ging abermals ins Leere. »Ja, ich bin ziemlich sicher, dass niemand bei ihr gestanden hat, als ich mich zu ihr umdrehte.«
    Verhoeven beobachtete ihr Gesicht ganz genau, während er fragte: »Sagte sie es vielleicht so, als habe sie jemanden wiedererkannt?«
    Suggestivfragen , hörte er seinen Mentor Karl Grovius schimpfen. Ich sage dir, mein Junge, so was geht immer in die Hose. Du hörst zwar, was du hören willst, aber du weißt nie, ob es auch wirklich Hand und Fuß hat ...
    »Ja ...« Britta Karlstadts Augen wanderten über die Tischplatte zu ihm zurück. »Ja, das würde es erklären!«
    »Was erklären?«, hakte Verhoeven nach.
    »In meiner Erinnerung hatte sich ein ganz bestimmter Eindruck festgesetzt«, erklärte die junge Bankangestellte. »Etwas, das ich bislang nicht näher beschreiben konnte. Aber nach dem, was Sie da eben gesagt haben ... Das hat mir klargemacht, dass ich damals den Eindruck hatte, dass die Frau mit sich selber redete.« Ich würde sagen, sie war definitiv verwirrt ...
    »Sie meinen, sie sprach so, wie man zum Beispiel sagen würde: Ach, nun sieh doch mal einer an, da hinten ist ja Malina, na, der ist aber alt geworden?«
    »Nein. Es ... Es klang nicht so banal, verstehen Sie?« Britta Karlstadt seufzte. Sie schien drauf und dran, die Geduld mit sich und ihrer Erinnerung zu verlieren. »Eher so, als ob sie ...« Sie schloss die Augen. »Merkwürdig«, sagte sie, »jetzt ist mir fast, als könnte ich sie wieder hören.«
    Suggestivfragen!
    Die Bankangestellte atmete tief durch. »Es klang eher bestürzt, verstehen Sie? So als ob sie sich erschreckt hätte.«
    »Aber sie hat niemanden direkt angesehen?«
    »Nein, ich glaube nicht. Allerdings«, in Britta Karlstadts Augen blitzte ein Ausdruck von Bedauern auf, »bin ich mir keineswegs sicher.«
    Verhoeven entschied sich, es dabei bewenden zu lassen. Spekulationen brachten sie nicht weiter. Eher im Gegenteil. Eigenartigerweise hatte er trotzdem das Gefühl, dass der Eindruck seiner Zeugin richtig gewesen war. Eine Frau, alt und möglicherweise auch verwirrt, war in die Filiale gekommen und hatte dort jemanden gesehen. Eine Person, die sie ganz offenbar – egal, aus welchem Grund – nicht erwartet hatte. Und vor lauter Überraschung hatte sie den Namen der betreffenden Person laut ausgesprochen, oder vielmehr: deren Decknamen. Oder Kosenamen. Oder was auch immer.
    MALINA.
    Vielleicht hatte da jemand noch eine Rechnung offen , flüsterte Hinrichs’ Stimme in Verhoevens Kopf.
    »Und Sie haben die Frau danach nie wieder gesehen?«, wandte er sich wieder an seine Zeugin.
    Die junge Mutter schüttelte so energisch den Kopf, dass das Baby von der Heftigkeit der Bewegung erwachte. »Nur dieses eine Mal«, sagte sie, indem sie den Kopf des schreienden Säuglings an ihre Schulter bettete und ihm sanft über den Rücken strich. »Und ich würde sie ganz bestimmt wiedererkannt haben, das können Sie glauben.«
    Unbesehen, dachte Verhoeven.
    »Sie war irgendwie ... besonders,

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