Schattenriss
mir einfach, okay?«
Ich weiß nicht, ob das so klug wäre, dachte sie.
Quentin Jahn schien ihre Zweifel zu spüren. »Es gibt diese Dinger, und ich fürchte, ich habe sie ausgelöst«, wiederholte er noch eine Spur eindringlicher als zuvor.
»Dann wissen die Entführer jetzt also, dass wir hier oben sind?«, fragte Abresch.
»Davon gehe ich aus.«
Haben Sie den Alarm ausgelöst?
Winnie Heller war sich noch immer nicht sicher, ob der Zeitschriftenhändler tatsächlich die Wahrheit sagte. Oder ob er sie aus irgendeinem Grund dazu bewegen wollte, in die Grube zurückzukehren. Seine Augen leuchteten ihr aus der Dunkelheit entgegen wie ein Paar glühende Kohlen, und sie begann sich zu fragen, wie er es geschafft haben mochte, bis in den Generatorenraum zu gelangen, ohne dass sie ihn bemerkt hatte. Und auch, woher Abresch so plötzlich gekommen war ...
»Wenn wir es schaffen, wieder unten zu sein, bevor einer von denen hier auftaucht, nehmen sie vielleicht an, dass die Melder von einem Tier ausgelöst wurden«, sagte Quentin, und endlich trat er jetzt auch aus dem Schatten hinter der Tür.
»Na, dann schnell«, sagte Abresch und rannte mit schwerfälligen Bewegungen auf die Treppe zu.
Doch da näherten sich bereits neue Schritte. Sie kamen aus dem Gang hinter der mittleren Tür und verrieten, dass die Person, zu der sie gehörten, rannte. Sekunden später stürzte der jüngste der Geiselnehmer durch die düstere Türöffnung.
»Halt«, schrie er mit einer Stimme, die vor Angst und Hilflosigkeit kiekste. »Gehen Sie zurück!« Und als die Gefangenen nicht gleich reagierten, riss er die MP, die er vor der Brust trug, in die Höhe und legte auf die Dreiergruppe an. »Sofort!«
»Schon gut, schon gut«, versuchte Winnie Heller den Jungen zu beschwichtigen, indem sie rückwärts auf den Rand der Grube zuging und ihren Mitgefangenen bedeutete, es ihr gleichzutun. »Wir haben Sie gesucht, weil wir ...«
»Maul halten!« Er hob die Waffe noch höher und zielte genau auf ihren Kopf, aber sie spürte, dass er nicht abdrücken würde.
Trotzdem ging sie kein Risiko ein. »Ich nehme jetzt meine Hände hoch, okay? Sehen Sie, es ist alles in bester Ordnung. Wir sind unbewaffnet und wollten wirklich nur ...«
»Gehen Sie zurück!«, schrie er. Sein ganzer Körper zitterte vor Aufregung, und die Augen hinter der Maske wirkten wie schwarze Seen.
Dieser Junge ist mit der Situation komplett überfordert, dachte Winnie Heller unbehaglich. Er hat ganz offenbar keine Erfahrung. Und zumindest im Augenblick hat er auch keine Schützenhilfe. Eine nicht ungefährliche Konstellation, wie ihr schmerzlich bewusst war.
»Jetzt machen Sie endlich!«, kiekste er, als die Panik aufs Neue in ihm aufloderte. »Gehen Sie zurück in die Grube. Oder wollen Sie, dass ich ...«
»Aber wir sind doch schon auf dem Weg, sehen Sie?«, fiel sie ihm ins Wort, weil sie das Gefühl hatte, dass er sich beeinflussen lassen würde, wenn sie ruhig blieb. Ruhig und bestimmt. »Ich meine, Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir was anderes als überleben wollen, oder?« Sie drehte den Kopf und schielte nach Abresch, der schon fast auf Höhe der Treppe war. »Wir wollen heil hier raus«, wiederholte sie, um die Beruhigung, die in dieser Information steckte, im Kopf des jungen Geiselnehmers zu verankern. »Und Sie wollen das auch.«
Er nickte nicht, aber er hörte ihr zu. Immerhin.
»Und wenn wir alle ruhig bleiben und uns nicht zu Kurzschlusshandlungen hinreißen lassen, haben wir gute Chancen, unser Ziel zu erreichen.« In Winnie Hellers Augenwinkel tauchte die Treppe auf. »Denken Sie an Australien ...«
Sie hatte den unbestimmten Eindruck, als ob Quentin Jahn bei diesem Wort aufgehorcht hätte, aber das konnte genauso gut Einbildung sein.
»Gehen Sie runter, aber langsam«, raunte sie Abresch zu, der ihrer Aufforderung umgehend nachkam.
Ohne dass sie sich zu ihm umdrehen musste, verfolgten ihre vom Adrenalin geschärften Sinne, wie Walther Liesons Stellvertreter vorsichtig Stufe um Stufe hinabstieg. Zugleich bemühte sie sich, den Blick des jungen Geiselnehmers zu fixieren, dessen Hände um den Griff seiner MP lagen wie zwei Schraubstöcke. Er trug keine Handschuhe, und selbst auf die Entfernung konnte Winnie Heller sehen, dass die Fingergelenke durch die Anspannung weiß hervortraten.
»Jetzt Sie«, sagte sie halblaut, doch Quentin Jahn zögerte.
»Gehen Sie«, schrie der Junge, von einem Moment auf den anderen wieder auf hundertachtzig. »Gehen
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