Schattenriss
verstehen Sie? Eine Frau von der Sorte, wie man sie nicht alle Tage trifft. Obwohl ich, wenn ich so zurückdenke, gar nicht sagen könnte, worin diese Besonderheit bestand.« Britta Karlstadt runzelte die Stirn. Offenbar störte sie sich noch immer daran, dass sie ihre Ein drücke nicht besser beschreiben konnte. »Und doch«, setzte sie schließlich mit Nachdruck hinzu. »Etwas an ihr war definitiv außergewöhnlich.«
Verhoeven zog seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und stand auf. »Ich schicke Ihnen so schnell wie möglich einen unserer Zeichner vorbei.«
»Diese«, Britta Karlstadt zögerte, »diese Sache ist ziemlich wichtig für Sie, nicht wahr?«
Verhoeven hätte nicht sagen können, ob sie die Polizei im Allgemeinen oder ihn ganz persönlich meinte. »Ja«, antwortete er. »Sehr wichtig.«
Die junge Bankangestellte nickte. »Ich werde mir Mühe geben.«
11
Bernds Privat-Pissoir entpuppte sich als Generatorenraum von überschaubarer Größe. Alles, was nicht zu schwer zum Tragen gewesen war, hatten Plünderer abgebaut und mitgehen lassen. Den Rest hatte Winnie Heller trotz der schlechten Lichtverhältnisse schnell erkundet, wobei sie sich alle Mühe geben musste, den Gestank zu ignorieren, der den Raum erfüllte und der von allen Seiten nach ihr zu greifen schien.
Das hier bringt doch rein gar nichts , meldete sich ihre innere Stimme zu Wort, während sie – mehr tastend als sehend – ein rostiges Etwas untersuchte, das früher einmal eine Turbine gewesen sein mochte. Sieh lieber zu, was du mit der Waffe machst! Schließlich kannst du das Ding nicht in einer Mauerritze verschwinden lassen, so wie deinen Dienstausweis!
Stimmt, dachte Winnie Heller, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Und verstecken sollte ich die Waffe wohl wirklich. Denn wenn diese Kerle erst einmal bemerkt haben, dass ihnen eine Pistole abhandengekommen ist, werden sie definitiv alles daransetzen, das Ding wiederzufinden.
Sie ließ von der Turbine ab und erwog die verschiedenen Alternativen, bis ihr plötzlich das Ölfass einfiel, hinter dem sie sich bei ihrem ersten Abstecher in den Raum oberhalb der Grube versteckt hatte. Da wäre die Waffe aus dem Weg, aber trotzdem einigermaßen schnell zu erreichen, dachte sie. Und falls sie mich filzen, bin ich sauber!
Sie nickte und kämpfte sich über den bröckligen Boden zur Tür zurück. Von Quentin war nichts zu sehen und zu hören, aber er konnte nicht weit sein. Davon war Winnie Heller überzeugt. So leise wie möglich löste sie sich aus ihrer Deckung und machte ein paar Schritte in die Richtung, in der das Fass liegen musste. Das Flackerlicht des Fernsehers verlieh den Türöffnungen in ihrem Rücken ein wunderliches Eigenleben und warf bizarre Schatten an die angrenzenden Wände. Winnie Heller drehte sich alle paar Schritte um, weil sie das unbestimmte Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Aber sie konnte nichts ausmachen, das ihren Verdacht gerechtfertigt hätte. Trotzdem musste sie immer wieder an die leere Hülle denken, die sie im Rucksack der Entführer entdeckt hatte. Die Hülle eines Fernglases oder Nachtsichtgeräts ...
Wie pervers sind diese Kerle?, überlegte sie, als sie zitternd weiterschlich. Hätte ein Mann wie Bernd Spaß daran, seine Geiseln zu einem Fluchtversuch zu treiben, um sie anschließend kreuz und quer durch dieses düstere alte Gemäuer zu hetzen? War die Jagd auf Quentin Jahn und sie bereits eröffnet, ohne dass sie etwas davon ahnten? Und ... Wem konnte sie eigentlich trauen?
Die Waffe unter ihrer Jacke schien wärmer zu werden. Heiß fast. So als ob sie sagen wollte: Hey, ich bin gefährlich. Also sieh zu, wie du mich loswirst!
Winnie Heller kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt in die Finsternis, die sich rechts von ihr ausbreitete. Die Richtung stimmte. Aber da war nichts, oder? ... Doch, jetzt sah sie es! Da war ein dunkler Schatten, der ihr aus der Dunkelheit entgegenragte wie der sprichwörtliche Rettungsanker.
Nachdem sie das Fass umrundet hatte, ließ sie sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf die Knie sinken. Okay, gut, so weit alles klar. Die erste Hürde ist genommen. Der erste Etappensieg errungen: Ich bin bis zu diesem dämlichen Fass gelangt, ohne erschossen zu werden. Und jetzt? Winnie Hellers Hände glitten über das zersetzte Metall. Das Fass lag auf der Seite. Im oberen Drittel, direkt vor ihr, befand sich eine Art Einfüllöffnung, deren Deckel vermutlich bereits vor einer halben Ewigkeit
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