Schattenriss
Sie sofort wieder da runter oder ich erschieße Sie!«
»Ruhig Blut, mein Junge.« Dieselbe sonore Ruhe wie gestern in der Bank. »Ich bin ja schon unterwegs.«
Rede nicht mit ihm, als ob du irgendein dummes Kind vor dir hättest, dachte Winnie Heller, als sie sah, wie sich die Finger des jungen Geiselnehmers wieder fester um den Griff der Waffe krampften. Sonst kommt er noch auf die Idee, seine Autorität unter Beweis zu stellen. Sie lauschte gespannt auf etwas, das ihr verriet, ob Quentin Jahn dem Befehl des jungen Geiselnehmers tatsächlich Folge leistete, und mit Erleichterung registrierte sie die Tritte des Zeitschriftenhändlers auf den rostigen Stufen.
Winnie Heller schickte sich eben an, ihm zu folgen, als sie einen Schatten bemerkte, der sich aus dem Dunkel der seitlichen Wand löste. Im nächsten Augenblick flammte der Strahl einer Taschenlampe auf.
»Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ein glasklarer Fluchtversuch.«
Auf der Treppe hinter ihr blieb Quentin Jahn abrupt stehen, und auch der junge Geiselnehmer zuckte sichtlich zusammen. »Und auf Fluchtversuch steht die Todesstrafe.«
»Wir haben einen Herzpatienten da unten«, entschied sich Winnie Heller, die Flucht nach vorn anzutreten, während ihre Augen im grellen Licht seiner Taschenlampe zu tränen begannen. »Er braucht dringend Medizin und ...«
»Hat dich hier irgendjemand nach irgendwas gefragt?« Seine Schuhe knirschten auf dem sandigen Untergrund, als er quer durch den Raum auf sie zukam.
Sie schüttelte den Kopf. Folgsam sein, aber nicht zu eingeschüchtert wirken. Stärke ausstrahlen, ohne den Eindruck von Renitenz zu vermitteln.
»Wie weit war sie?«
Der Junge antwortete nicht sofort. Das plötzliche Auftauchen seines Komplizen schien ihn regelrecht paralysiert zu haben.
Sag, dass du es nicht weißt , flehte Winnie Heller im Stillen. Sag bitte, dass du keine Ahnung hast!
»Ich weiß nicht. Aber sie hat nicht ... Ich meine ... Sie sagt, dass einer krank ist.«
Gut so!
»Ach wirklich? Sagt sie das?«
»Es stimmt«, startete Winnie Heller einen neuen Versuch, weil sie sah, dass der Junge immer unsicherer wurde. Offenbar hatte er tatsächlich eine Heidenangst vor seinem Komplizen. »Der Mann ist ...«
»Schschschsch ...« Brutalo-Bernd kam langsam, Schritt für Schritt auf sie zu.
Winnie Hellers Blick fiel auf die Glock, die lässig in seinem Hosenbund steckte. Er wird mich erschießen, dachte sie. Vielleicht spielt er erst noch eine Weile mit mir, aber dann knallt er mich gnadenlos ab.
Auf Fluchtversuch steht die Todesstrafe ...
Doch plötzlich hielt er inne und bückte sich nach etwas.
Winnie Heller sah, wie sich die Augen des Geiselnehmers verengten, als er den Strahl seiner Taschenlampe auf den Gegenstand in seiner Hand richtete, und voller Entsetzen erkannte sie ihren Dienstausweis.
»Nun sieh doch mal einer an«, flüsterte Brutalo-Bernd mit einer Stimme, die vor Kälte nur so klirrte. »Unsere kleine dicke Winifred ist ein Bulle.«
12
»Das kann unmöglich ein Zufall sein«, befand Goldstein, nachdem Verhoeven von seinem Besuch bei Britta Karlstadt berichtet hatte. »Zwei Personen, die unabhängig voneinander in derselben Sparkassenfiliale nach einer Person namens Malina fragen oder dieser Person dort begegnen ...« Seine Adleraugen suchten den Wecker auf dem Tisch, und auch Verhoeven war schmerzlich bewusst, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. »Das hängt zusammen, auch wenn wir noch keine Ahnung haben, wie.«
»Vielleicht hat die Alte jemanden wiedererkannt und den Geiselnehmern davon erzählt«, stimmte Hinnrichs ihm zu. »Oder zumindest einem von ihnen.«
»Falls ja, tippe ich auf Teja«, sagte Goldstein.
Unbedingt, dachte Verhoeven. Er ist derjenige mit dem persönlichen Motiv.
»Aber würde das nicht zwangsläufig bedeuten, dass zwischen ihnen eine Verbindung besteht?«, warf Monika Zierau ein. »Ich meine, zwischen Teja und dieser mysteriösen Fremden aus der Bank. Dass sie irgendetwas eint? Ein gemeinsames Ziel vielleicht oder eine gemeinsame Vergangenheit.«
»Zumindest haben sie anscheinend einen gemeinsamen Feind«, bemerkte Hinnrichs trocken.
»Wir müssen diese Frau finden«, sagte Goldstein. »Koste es, was es wolle. Denn irgendetwas verbindet sie mit diesen Männern, so viel steht fest.«
»Das Phantombild kommt gerade rein«, verkündete Luttmann, der fast hinter seinem Laptopmonitor verschwunden war.
»Na, das ging ja mal schnell.« Goldstein nahm seinem Techniker den
Weitere Kostenlose Bücher