Schattenriss
schnappte der Unterhändler, indem er die Zigarette anzündete, die bereits seit geraumer Zeit in seinem Mundwinkel steckte. »Und sag den Kollegen, die sich mit den Sparkassendaten befassen, dass sie ihre Trefferlisten nach einer Frau mit DDR-Vergangenheit filtern sollen.«
Verhoeven lächelte ihm dankbar zu und kämpfte gleichzeitig mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Ich möchte, dass Sie die Augen offen halten. Und dass Sie eingreifen, wenn es nötig werden sollte. Oder wollen Sie das Leben ihrer Partnerin einem Mann anvertrauen, der sich in Stresssituationen nicht im Griff hat?
»Eine Sache ist in diesem Zusammenhang wirklich merkwürdig«, sagte Monika Zierau, während Luttmann Goldsteins Order an seinen Gesprächspartner weitergab.
»Nämlich?«
»Gleich zwei von unseren Geiseln stammen ebenfalls aus der ehemaligen DDR.«
Hinnrichs sah sie über den Rand seiner Brille hinweg an. »Evelyn Gorlow und ...?«
»Quentin Jahn«, antwortete die Psychologin. »Interessanterweise war es gerade bei ihm nicht einfach, überhaupt etwas über seine Vergangenheit herauszufinden.«
Sieh mal an, vielleicht ist Ihre Idee gar nicht so abwegig , las Verhoeven in den Augen seines Vorgesetzten, der ihn von der Seite auf die ihm eigene intensive Art und Weise fixierte.
»Der Mann scheint etwas ... Na ja, undurchsichtig zu sein. Auch wenn es eine ganze Reihe von Leuten gibt, die ihn gut zu kennen glauben.« Monika Zierau lehnte sich zurück und referierte die Fakten, ohne ihre Notizen bemühen zu müssen. »Er wurde 1943 als jüngster von drei Söhnen in Wernigerode geboren. Sein Vater überlebte die Ostfront und türmte Mitte der sechziger Jahre im Kofferraum eines Freundes in den Westen, ohne seiner Frau oder sonst irgendjemandem vorab auch nur ein Sterbenswörtchen von seinen Fluchtplänen zu verraten. Jahn war damals bereits verheiratet und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Neuere Geschichte in Halle. Allerdings wurde er wegen der Republikflucht seines Vaters gezwungen, die Universität zu verlassen. Stattdessen bekam er irgendeinen stupiden Job in einem Textilkombinat zugeteilt und fing vor lauter Frust an zu trinken.«
Verhoeven schielte zu Goldstein hinüber, doch der verzog keine Miene.
»Über diese Sache zerbrach Quentin Jahns Ehe, und seine Frau kehrte mit den beiden gemeinsamen Söhnen zu ihren Eltern nach Vorpommern zurück.«
Hinnrichs nahm sich das Foto des Zeitschriftenhändlers vor und betrachtete es eingehend. Vielleicht suchte er nach Blessuren, die aus den genannten Schicksalsschlägen resultierten. Aber ganz offenbar wurde er nicht fündig. Quentin Jahns Gesicht wirkte so rein und klar, als habe er sein gesamtes Leben im tiefsten Einklang mit sich selbst auf einem Klosterberg zugebracht.
»Nach dem Auszug seiner Frau dümpelt sein Leben so vor sich hin«, fuhr Monika Zierau fort, »bis er 1969 urplötzlich wie Phönix aus der Asche steigt, von einem Tag auf den anderen mit dem Trinken aufhört und Karriere macht.« Und jetzt blickte sie doch kurz auf ihre Notizen hinunter. »Er wird zuerst Schicht- und dann Abteilungsleiter und bekommt schließlich sogar wieder einen Lehrauftrag an der Universität. Mit seiner Stellung wachsen nach und nach auch seine Freiheiten.« Die schmalen Finger der Profilerin zupften an der Ringbindung ihres Collegeblocks. »Kurz gesagt: Seit den frühen siebziger Jahren hat er ein vergleichsweise angenehmes Leben da drüben geführt. Jagdgesellschaften und Empfänge bei hohen Parteibonzen inklusive.«
»Und seit wann ist er im Westen?«, fragte Hinnrichs, der der Schilderung von Quentin Jahns unerwartetem Aufstieg mit wachsendem Interesse gelauscht hatte.
»Er kam gleich nach der Wende nach Wiesbaden und eröffnete den Zeitschriftenladen, den er noch heute hat.«
Hinnrichs’ Miene spiegelte blankes Unverständnis. »Warum?«
»Das«, die Psychologin schenkte ihm ein süffisantes Lächeln,
»haben wir leider bislang noch nicht herausfinden können.« »Bleib dran«, sagte Goldstein im selben Moment, in dem einer
von Hubert Jüssens Männern ins Zimmer platzte.
»Wir haben eine erste Spur von unserem Kochbrunnenplatzschützen«, verkündete er, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. »Eine Zeugin will einen Mann in einem hellen Mantel gesehen haben, der kurz nach den Schüssen in einen silbernen Mazda mit Frankfurter Kennzeichen gestiegen ist. Der Mann ist ihr aufgefallen, weil zu diesem Zeitpunkt bereits von allen Seiten Sirenen
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