Schattenriss
entsprechende Stelle mit seinem Cursor. »Es gibt dort links und rechts ein paar Büsche, sodass die Stelle zumindest von der Seite aus nicht so ohne weiteres eingesehen werden kann.«
Goldstein nickte und bemühte sein Dossier. »Elf Personen mit Schussverletzungen, von denen keine einzige oberhalb der Kniescheibe liegt«, murmelte er, bevor er sich abermals an Luttmann wandte. »Kannst du mir markieren, wo genau sich die Opfer im Moment der Schüsse befunden haben?«
Luttmann schüttelte den Kopf. »Hierzu liegen leider noch keine gesicherten Informationen vor.«
»Dann besorg uns welche«, blaffte Goldstein. »Wir müssen
wissen, wie präzise der Schütze tatsächlich gewesen ist.« »Verdammt präzise«, mischte sich einer der SEK-Beamten ein. »Waren Sie vor Ort?«
Der Beamte bejahte. »Der Kerl hat halbkreisförmig geschossen, und die Abstände waren zum Teil beachtlich. Und obwohl sich einige der Opfer sogar bewegt haben, weisen sie alle die selben Verletzungen auf.«
»Präzise wie ’ne Nähmaschine«, bemerkte sein Sitznachbar, ohne eine Miene zu verziehen.
»Keiner der Treffer liegt weiter als zehn Zentimeter von der Kniescheibe entfernt«, gab sein Kollege ihm recht. »Und das, obwohl der Schütze zum Zeitpunkt der Tat im Gegenlicht stand.«
»Also ein Profi«, resümierte Goldstein. Dann versank er einen Augenblick in nachdenkliches Schweigen. »Wir brauchen eine genaue Aufzeichnung der Winkel und Abstände«, wies er den SEK-Beamten an. »Und nehmen Sie sich die einschlägigen Sondereinheiten und Scharfschützenverbände vor. Suchen Sie nach Männern, die ihre Einheit unehrenhaft oder krankheitsbedingt verlassen haben oder ausgeschlossen wurden. Und überprüfen Sie auch ehemalige Söldner, die offiziell oder inoffiziell eine entsprechende Ausbildung genossen haben könnten.« Er seufzte. »Wie steht es mit Augenzeugen?«
»Mehreren Passanten ist am Kochbrunnenplatz ein Kerl in einem hellen Mantel aufgefallen, der kurz vor den Schüssen die Treppe zur Taunusstraße hinaufgestiegen ist«, meldete sich wieder der dunkelhaarige Beamte von der hinteren Wand zu Wort. »Eine Frau will den Betreffenden zudem an der genannten Stelle stehen sehen haben.«
»Hat sie auch gesehen, wie er geschossen hat?«
»Leider nicht.«
Goldstein rückte sein Basecap zurecht. »Reichen die Beschreibungen des Verdächtigen wenigstens für ein Phantombild?«
Der Beamte schüttelte bedauernd den Kopf. »Bislang leider nicht. Im Grunde hat keiner der Zeugen mehr als den Mantel gesehen.«
Ein Kerl in einem hellen Mantel .
Verhoeven runzelte die Stirn. Das Ganze erinnerte ihn an Zauberkünstler im Zirkus, die ihrem Publikum ganz gezielt irgendeine Auffälligkeit präsentierten, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer von ihren Händen abzulenken. Von ihren Händen, dachte Verhoeven, oder von ihrem Gesicht ...
»Sagen Sie, kann man in diesen heiligen Hallen eigentlich auch so was wie einen Kaffee bekommen?«, fragte Goldstein, indem er scherzhaft eine von Kai-Uwe Luttmanns leeren Coladosen in die Höhe hielt.
»Natürlich«, antwortete Büttner mit reichlich gequält wirkendem Lächeln. »Würden Sie das bitte übernehmen?«
Die junge Polizistin, der diese Aufforderung galt, sah den BKA-Mann an, als erwäge sie, ihn wegen sexistischen Verhaltens vor Gericht zu bringen. Doch angesichts der mehr als angespannten Gesamtsituation entschied sie sich schließlich dafür, klaglos zu tun, worum Werner Brennickes Adlatus sie gebeten hatte.
Goldstein hatte unterdessen eine Schachtel Camel aus seiner Reisetasche gekramt und schüttelte eine der Zigaretten heraus. Ohne die Augen von der Karte zu nehmen, die noch immer auf die Wand projiziert war, schob er sie sich zwischen die Lippen und entzündete sie mit einem quietschbunten Einwegfeuerzeug.
Verhoeven hörte, wie Hinnrichs neben ihm erwartungsvoll die Luft anhielt.
»Verzeihen Sie, aber in diesen Räumen ist das Rauchen leider nicht gestattet«, meldete sich im selben Moment wie auf ein unausgesprochenes Stichwort hin der Beamte zu Wort, der zuvor bereits Hinnrichs daran gehindert hatte, seinem Laster zu frönen.
Goldstein reagierte nicht. Ob er den Mann nicht gehört hatte oder schlicht nicht gewillt war, dessen mehr oder minder versteckter Aufforderung Folge zu leisten, blieb sein Geheimnis. Stattdessen blies er einen Schwall Rauch in die sterile Einsatzzentralenluft, als habe er genau das schon immer tun wollen, während er mit der freien Hand ein paar kurze Stichpunkte
Weitere Kostenlose Bücher