Schattenriss
würden«, entgegnete Verhoeven. »Also warten wir erst mal ab, okay?«
Bredeney bedachte ihn mit einem Blick, der zu gleichen Teilen Herausforderung und Besorgnis spiegelte. »Du meinst, bis die Hellers aus den Nachrichten erfahren, was Sache ist?«
»Die Identität der Geiseln wird geheim gehalten.« Verhoeven trank den letzten Schluck von seinem Kaffee und beförderte den Becher mit einem gezielten Wurf in den Abfalleimer, der hinter Werneuchen an der Wand stand. »Schon allein, um Winnies Berufsstand nicht preiszugeben.«
Oskar Bredeney drückte seinen ebenfalls leeren Becher zu einem formlosen Plastikklumpen zusammen, bevor er Verhoevens Beispiel folgte. »Mensch, Junge«, sagte er, »du weißt doch mittlerweile selbst, wie diese Dinge laufen. Ein findiger Reporter, eine gezielte Indiskretion. Und schon liegst du auf der Fresse und weißt nicht mehr, wo oben und unten ist.«
Jetzt klingt er genau wie Grovius, dachte Verhoeven, ohne entscheiden zu können, ob er sich darüber freuen oder ärgern sollte.
»Und was wird mit ihrem Aquarium?« Werneuchen zupfte unbehaglich an den Ärmeln seines braunen Stehbundpullovers. »Ich meine, eigentlich müsste jemand zu ihr nach Hause fahren und ihre Fische füttern, oder nicht?«
Verhoeven blickte auf seine Schuhspitzen hinunter. Werneuchen hatte »jemand« gesagt, aber er wusste genau, was der Kollege gemeint hatte: »Du«. Du müsstest hinfahren und ihre Fische füttern . »Weiß einer von euch, wer einen Schlüssel zu ihrem Apartment haben könnte?«
»Keinen Schimmer«, seufzte Bredeney, und auch Werneuchen konnte nur ratlos den Kopf schütteln.
»Aber vielleicht sprichst du mal mit Lübke«, schlug er vor.
»Lübke?« Verhoeven war ehrlich überrascht. »Wieso Lübke?«
»Na ja«, Werneuchen wand sich unter den Blicken seiner Kollegen wie ein Kind, das ein verbotenes Wort gesagt und damit weit mehr Aufmerksamkeit erregt hatte, als ihm lieb war. »Ich war der Meinung ...« Er hielt inne und atmete tief durch. »Na ja, ich dachte eigentlich, dass die beiden so was wie befreundet wären.«
Verhoeven tauschte einen Blick mit Bredeney, während er sich den Zigarillo rauchenden Spurensicherer vorstellte, der mit seinen schrankbreiten Schultern und der mehrfach gebrochenen Nase nicht nur wie ein in die Jahre gekommener Catcher wirkte, sondern darüber hinaus auch noch eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Gert Fröbe hatte. Im Präsidium ging das Gerücht, dass er neben Exsträflingen und anderen Haudegen in der französischen Fremdenlegion gedient habe. Und selbst wenn dieser Teil seiner Biographie vermutlich in den Bereich der Legende gehörte, war Hermann-Joseph Lübke zweifelsohne ein Mann, den man sich schon allein aufgrund seiner Optik mühelos in der Rolle eines abgehalfterten Boxers oder alternden Luden vorstellen konnte. Aber befreundet mit der kleinen und trotz ein paar Pfund Übergewicht eher zarten Winnie Heller?!
Verhoeven bedachte den Mülleimer in Werneuchens Rücken mit einem nachdenklichen Kopfschütteln. Soweit er wusste, spielten seine Partnerin und Lübke gelegentlich im Kollegenkreis Poker. Und vielleicht tranken sie bei diesen Gelegenheiten auch schon mal ein Bier zusammen.
Aber befreundet?
Was für eine merkwürdige Kombination, dachte Verhoeven, während er versuchte, sich ein paar Gelegenheiten ins Gedächtnis zu rufen, bei denen er die beiden gemeinsam erlebt hatte. Doch alles, was ihm einfallen wollte, war, dass sie einander beständig ärgerten. Oder vielmehr: Lübke war derjenige, der Winnie Heller provozierte, und sie antwortete für gewöhnlich mit irgendeinem flotten Spruch, ganz wie es ihre Art war. Aber befreundet?
»Befreundet?«, fragte just in diesem Augenblick auch Bredeney, und Verhoeven hörte schon am Tonfall, dass der altgediente Kollege seine Verwunderung teilte. »Was meinst du mit befreundet?«
»Genaueres weiß ich auch nicht«, verteidigte sich Werneuchen. »Aber nach allem, was ich in den letzten Monaten aufgeschnappt habe, treffen sich die beiden auch privat. Zumindest ab und zu.«
»Ha!«, machte Oskar Bredeney, und seine Miene drückte aus, dass er diese Möglichkeit für vollkommen ausgeschlossen hielt.
»Und was, wenn ich dir sage, dass sie erst heute Nachmittag noch mit Lübke telefoniert hat?«, hielt Werneuchen ihm entgegen.
»Winnie?«
»Ja, Winnie.« Werneuchen stand der Triumph über diese Tatsache förmlich ins Gesicht geschrieben. »Die Kollegen, die ihr Handy gefunden haben, haben bei der
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