Schattenriss
weiß Gott gebrauchen, dachte Verhoeven.
»Böse Zungen behaupten allerdings, dass er das verdammte Ding nur trägt, um seine Augen zu verbergen«, fuhr Bredeney fort, sichtlich erleichtert, ein Thema gefunden zu haben, das ihn ein paar wertvolle Augenblicke lang von seiner Angst ablenkte. »Du weißt schon, weil die Augen am ehesten verraten, was ein Mensch wirklich denkt, und so weiter und so fort. Aber an diese Erklärung hab ich nie geglaubt.« Er schob die Unterlippe vor, während er nachdachte. »Immerhin können die Mistkerle, mit denen Goldstein verhandelt, seine Augen in aller Regel sowieso nicht sehen, stimmt’s nicht?«
Verhoeven lächelte gequält. Wenn es denn etwas zu verhandeln gäbe ...
»Nee, nee«, murmelte Bredeney in seinen Kaffeebecher. »Das Ding ist ein Glücksbringer, wenn du mich fragst. Und ... Hey, da fällt mir ein, dass irgendwer damals erzählt hat, Goldstein hätte die verdammte Mütze bei einem Einsatz getragen, der beinahe schiefgelaufen wäre oder so. Jedenfalls hat irgend so ein durchgeknallter Möchtegern-Terrorist auf ihn geschossen, glaub ich, und eine der Kugeln ging haarscharf an seinem Kopf vorbei.« Bredeney nickte sinnend vor sich hin. »Komisch, dass mir das ausgerechnet jetzt wieder einfällt, aber angeblich hat das Ding sogar einen Einschuss.« Er sah Verhoeven an. »Der ist dir nicht zufällig aufgefallen, oder?«
Verhoeven verneinte und dachte wieder an Grovius, der bis zu seinem plötzlichen Tod vor gut anderthalb Jahren das Projektil einer Neun-Millimeter im Kleingeldfach seiner Geldbörse spazieren getragen hatte. Die Patrone stammte, wie Verhoeven wusste, aus der kugelsicheren Weste, die seinem Mentor einst das Leben gerettet hatte, als Grovius auf einer dunklen Gasse in einen Hinterhalt geraten war. Nach Abschluss der Ermittlungen hatte Grovius sich das verbogene Projektil geben lassen und es fortan gehütet wie seinen Augapfel. Denk daran, mein Junge , hatte er oft gesagt und dabei mit einem verschmitzten Augenzwinkern auf das weiche Leder seines Portemonnaies geklopft, irgendwann ist Schluss. Eines schönen Tages sagt der da oben: Das war’s, und dann musst du abtreten. Peng. Aus. Klappe runter. Verhoeven trank einen Schluck von seinem Kaffee und überlegte eben, was Holger, Grovius’ renitenter Sohn, mit dem Projektil seines verhassten Vaters angestellt haben mochte, als er den Vibrationsalarm seines Handys am Körper spürte.
Er checkte das Display. Dann nahm er den Anruf entgegen.
»Wat Neuet von der Kleenen?«, wollte Dr. Gutzkow am anderen Ende der Leitung wissen, und Verhoeven wünschte sich von Herzen, die Frage bejahen zu können.
»Leider noch immer nichts«, wiederholte er stattdessen die entmutigende Antwort, die er bereits seinen Kollegen vom KK 11 hatte geben müssen.
»Mhm«, machte die Pathologin, und die Sparsamkeit ihrer Reaktion gab Aufschluss über den Grad ihrer Besorgnis. Ihres imposanten Auftretens und ihrer burschikosen Art wegen hatten ein paar Spaßvögel ihr den Spitznamen »Potemkin« verpasst, und wann immer ein Beamter des Nordhessischen Polizeipräsidiums einem Neuling Dr. Gutzkows Spitznamen enthüllte, pflegte er augenzwinkernd hinzuzufügen: Nach dem Panzerkreuzer, wohl gemerkt, nicht nach diesem adligen Schnösel, der mit Katharina rumgemacht hat. Doch allen negativen Assoziationen zum Trotz, die dieser wenig schmeichelhafte Beiname wecken mochte, war Isabelle Gutzkow eine Menschenfreundin erster Güte, die – wie Verhoeven aus zuverlässiger Quelle wusste – in ihrer karg bemessenen Freizeit kostenlosen Reitunterricht für Kinder aus problematischen familiären Verhältnissen gab und darüber hinaus auch zwei Schäferhunde ihr eigen nannte, die sie abgöttisch liebte.
»Det geht janz schön an die Nerven, wa?«, brummte sie jetzt in die Stille, die Verhoevens ernüchternder Antwort gefolgt war. »Oh, ja«, sagte er. »Allerdings.«
»Aber weshalb ick anrufe ...« Die Pathologin räusperte sich. Wir haben vor ein paar Minuten die Obduktion Ihres toten Kassierers abgeschlossen.«
»Und?«
»Der Mann starb durch einen einzigen gezielten Schuss in die Brust.« Isabelle Gutzkow machte eine kurze Pause, bevor sie hinzufügte: »Das Projektil ist natürlich noch in der Ballistik, aber ich kann Ihnen bereits jetzt verraten, dass es sich bei der Tatwaffe um eine 45er handelt.«
»Moment«, rief Verhoeven verwirrt. »Auf den Überwachungsbändern ist zu sehen, wie einer der beiden Gangster eine Bankangestellte mit seiner
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