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Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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Wirkung der Detonation muss verheerend gewesen sein», fuhr sie fort. «Ein Teil der Kinder war sofort tot. Die anderen …»
    Die Journalistin ließ den Satz unbeendet. Und Navideh Petersen zwang sich, die Bilder, die vor ihrem inneren Auge entstanden, auszulöschen. Mit diesem Albtraum hatte sie nichts zu tun. Ein lang zurückliegendes Unglück, an dem sie nichts mehr ändern konnte. Ihre Aufgabe war es, zu verhindern, dass sich etwas Ähnliches in Deutschland wiederholte.
    Langsam verblasste das Bild mit dem zertrümmerten Bus und den schreienden Kindern wieder.
    «Das war vier Jahre nach dem Abzug der Sowjets», fügte Andrea Voss erklärend hinzu und stellte eine Tasse Tee vor Navideh hin. «Ich habe gestern noch ein wenig über die Geschichte Afghanistans gelesen. Man kann sich das Chaos und die Zerstörung in dem Land nicht vorstellen. Das Unglück geschah mitten im Bürgerkrieg. Da gab es keine Ärzte oder Rettungshubschrauber.» Sie fuhr sich durch die strubbeligen Haare. «Farid hat erzählt, dass viele der überlebenden Kinder in den Tagen danach jämmerlich an ihren schweren Verletzungen gestorben sind. In der Nähe befand sich nur ein kleines Städtchen mit einer einfach ausgerüsteten Krankenstation. Dorfbewohner haben die Kinder auf die Rücksitze ihrer Autos gelegt oder sie auf Eselskarren hingebracht. Ein Teil war schon tot, als die Helfer mit ihnen dort ankamen.»
    Navideh Petersen beschlich ein furchtbarer Verdacht: «Waren Geschwister oder Freunde von Farid dabei?»
    «Das habe ich ihn natürlich auch gefragt», antwortete Andrea Voss ruhig. «Er kannte keines der Opfer. Aber ein Onkel von ihm war Arzt in der kleinen Klinik. Der hatte schon alle möglichen grauenhaften Verletzungen gesehen. Aber die Geschichte mit den vielen verwundeten Kindern muss ihn verändert haben. Farids Onkel hat damals tagelang rund um die Uhr operiert. Trotzdem sind ihm viele der verletzten Kinder unterm Messer weggestorben. Farid meinte, der Onkel habe damals sein Lachen verloren und …» Andreas Stimme wurde brüchig. «Ein halbes Jahr später hat er sich das Leben genommen. Die Großfamilie hat den Selbstmord auf das Unglück zurückgeführt. Es wurde nie wieder drüber gesprochen. Am Ende des Jahres ist Farid dann zum Studieren nach Deutschland gekommen.»
    Navideh Petersen hielt sich an ihrem Becher Tee fest und dachte über den Bericht nach. «Aber, was hat das alles mit Deutschland zu tun?», wollte sie von Andrea Voss wissen.
    Die Journalistin nickte anerkennend. «Diese Frage kam mir erst, als ich den Artikel schon fertig hatte. Ich habe Farid noch mal angerufen und ihn danach gefragt. Er meinte sich zu erinnern, dass eine kleine Hilfsorganisation, die damals durch die afghanischen Dörfer zog und Kinder impfte, behauptete, die Anti-Fahrzeugminen stammten aus Deutschland.»
    Petersen pfiff durch die Zähne. «Die Mütter und Väter von Paghman.»
    Andrea Voss goss sich Tee nach und setzte sich zu Petersen an den Tisch. «Farid kann sich aber nicht erinnern, dass die Eltern der verstorbenen Kinder nach dem Unglück besonderen Hass auf Deutsche entwickelten oder Forderungen stellten.» Sie seufzte. «Wie sollten sie auch? Das waren ja in der Regel Analphabeten, einfache Leute, die täglich ums Überleben kämpften. Von den
Müttern und Vätern von Paghman
hatte er noch nie gehört.»
    «Wir müssen mit Farid sprechen», sagte Navideh Petersen entschieden.
    «Ich fürchte, das wird er nicht wollen.»
    «Wieso nicht?»
    «Er hat irgendwelche ausländerrechtlichen Probleme an den Hacken. Was genau, habe ich gestern nicht verstanden. Auf jeden Fall will er nichts mit der Polizei zu tun haben. Das hat er ausdrücklich betont.»
    «Woher weißt du das so genau?», fragte Navideh Petersen misstrauisch.
    «Ich habe mit ihm darüber gesprochen, weil ich ahnte, dass ihr mit ihm reden wollt. Aber ich darf seine Nummer auf keinen Fall weitergeben.»
    Navideh Petersen konnte nicht glauben, was sie hörte. «Andrea», begann sie gereizt, wurde jedoch durch das Klingeln ihres Handys unterbrochen. Unwillig schaute sie auf das Display, stand auf und ging zum Telefonieren in den Flur der Wohnung.
    Mit einer geübten Bewegung warf Navideh ihre langen Haare nach hinten.
    «Ja, ich habe es gelesen. Ich bin schon bei ihr …», sagte sie leise und lauschte danach den Worten des Anrufers. «Ja, bis gleich», beendete sie kurz darauf das Telefonat und ließ ihr Handy in die Jackentasche gleiten.
    Als Navideh wieder die Küche betrat,

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