Schattenschmerz
Seitenscheitel ihrer kurzen Haare. «Ehrlich gesagt frage ich mich, warum du überhaupt noch dort hingehst?»
Hasso von Germershausen zuckte gleichmütig mit den Schultern. «
EvG-Technology
macht zwar Geschäfte weltweit, aber es ist nie verkehrt, die Kontakte zu den richtigen Leuten in der eigenen Stadt zu pflegen.»
«Und im Golfclub triffst du die richtigen Leute?»
In der Stimme seiner Frau lag ein Zwischenton, den er nicht deuten konnte.
«Natürlich.» Das Gespräch behagte ihm nicht. «Ich setze mich anschließend noch wegen des Neubaus mit Gregor zusammen, also warte bitte nicht auf mich.»
Sie sah ihn mit undurchdringlicher Miene an. «Ich dachte, ihr hättet längst alles besprochen. Sollten die Bauarbeiten nicht schon im Frühjahr beginnen? Zumindest hat Gregor mir das erzählt.»
«Ihr habt euch getroffen?» Hasso von Germershausen legte ein paar beigefarbene Golfhandschuhe in seine Tasche und musterte seine Frau aus dem Augenwinkel.
«Nein. Aber wir haben neulich länger am Telefon miteinander gesprochen. Schließlich gibt es für einen guten Architekten nicht nur in deiner geliebten Firma Bedarf, sondern auch hier.» Sie deutete mit dem Kopf auf den hinteren Teil des zweistöckigen Anwesens.
«Was willst du hier umbauen? Es ist perfekt.» Hasso von Germershausen machte eine hilflose Geste und tat, als schaute er sich prüfend in dem großen Wohnraum um. Dann wandte er sich wieder seiner Frau zu. «Selbst deine Reinigungsfrau weiß manchmal nicht mehr, was sie in unserem Haus noch putzen und polieren soll.»
Auf seinem Gesicht lag das in unzähligen Jahren einstudierte, distanzierte Lächeln eines Geschäftsmanns.
Gesine von Germershausen unterdrückte die wütende Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag. Eisiges Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Schließlich gab sie sich einen Ruck.
«Du weißt, dass ich mir seit längerem ein Atelier im Garten wünsche, wo ich in Ruhe malen kann.»
«Gesine, Liebes …» Seine Stimme klang schneidend. «Erstens habe ich unseren Garten nicht für Unsummen von einem Landschaftsarchitekten anlegen lassen, damit du ihn mit einer Künstlerhütte verschandelst. Und zweitens», er machte eine Pause, «weißt du, dass Malen wirklich nicht zu deinen ausgeprägten Stärken gehört.»
Gesine von Germershausen zuckte zusammen, als hätte sie einen Stromschlag erhalten.
«Warum engagierst du dich nicht in der Kunsthalle?» Hasso von Germershausen zog sich eine hellgraue Jacke über sein weißes Poloshirt. «Die brauchen immer Ehrenamtliche. Die Frauen aus halb Oberneuland treffen sich dort. Außerdem bist du dann deinen geliebten Malern nahe.» Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln.
‹Wie ein Bleistift›, dachte Gesine von Germershausen und beobachtete, wie ihr Mann erneut seine Golftasche öffnete und den Inhalt einer flüchtigen Überprüfung unterzog.
«Hast du dir übrigens überlegt, ob du die Schreibwerkstatt auf Spiekeroog machen willst?», fragte er wie nebenher.
Sie wiegte den Kopf. «Ich bin noch unentschieden.»
«Sie haben hervorragende Referenten dort. Auch die Unterkünfte sollen exzellent sein.»
«Aber du weißt, dass ich lieber lese, als selbst zu schreiben.»
«Du kannst es. Nur das zählt. Außerdem könntest du deine Zeit gleich für etwas Sinnvolles einsetzen. Du weißt, dass ich die Geschichte unserer Familie aufschreiben lassen möchte. Du würdest das Projekt leiten.»
Sie zuckte mit den Schultern und wollte noch etwas erwidern, aber er war schon auf dem Weg nach draußen. Hasso von Germershausen wartete auf gar keine Antwort. Die Sache war für ihn entschieden.
«Bis heute Abend.»
Die Tür fiel hinter ihm zu, ohne dass er ihr noch einen Blick geschenkt hätte.
Gesine von Germershausen griff sich die Zeitung vom Sofa und versuchte, sich erneut auf den Artikel zu konzentrieren. Aber die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Vergeblich kramte sie nach einem Taschentuch in ihrer Hosentasche. Müde stand sie auf und ging zum Sideboard. In der oberen Schublade lag eine Packung Taschentücher. Ihr Mann hasste den «Discounter-Mist» und schenkte ihr seit Jahren feine Stofftaschentücher mit gesticktem Monogramm zu Weihnachten. Noch nie hatte sie eines davon benutzt. Trotzdem bekam sie immer wieder welche.
Gesine von Germershausen wischte sich über die Augen. Dann ging sie zu dem Wandspiegel und überprüfte ihr Make-up. Die Wimperntusche war nicht verschmiert. Aber die Lippen wirkten etwas blass.
Sie war
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