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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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schwindlig war.

23
    Zweite Heimat
    Sam
    Wenn man über die Ruine auf der Steilklippe flog, ohne zu wissen, worauf man achten musste, konnte man sie leicht übersehen. Was auch kein großes Wunder war, denn der Fichtenwald, der vom Landesinneren bis an den Grat drängte, hatte sich im Lauf der Zeit bis zu ihr herangeschlängelt. Auf den großen Steinquadern wucherten Moose und Farne, in manchen Fugen hatten sich Felsenbirnen angesiedelt. Oben auf der Ruine war sogar eine Fichte emporgewachsen, deren Wurzelgeflecht tief ins Erdreich hineinreichte, sodass die weit ausladende Baumkrone ausreichend Nahrung fand. Die Fichte, die aussah wie ein überdimensionaler Bonsai, nahm die Hälfte des bis auf einige Reste eingestürzten ersten Stocks ein. Sie mochte gut und gern an die hundert Jahre alt sein, doch die Ruine stand hier sicherlich schon sehr viel länger.
    Mittlerweile hatte ich noch an zwei anderen Orten die Überreste von Bauwerken entdeckt, von denen jedoch nicht mehr genug Substanz übrig geblieben war, um auf ihre frühere Größe oder Funktion schließen zu können. Sie waren lediglich ein Zeugnis dessen, dass die Schattenschwingen in einer anderen Zeit Gebäude errichtet hatten, während sie sich heute nicht einmal mehr die Mühe machten, ein Nachtlager aufzuschlagen. Shirin rollte sich einfach in ihre Decken ein, Lorson hockte wie ein Vogel in den Baumkronen, und Kastor konnte ohnehin überall schlafen.
    Auch ich hatte bislang kein Bedürfnis verspürt, mir ein Zuhause zu schaffen. Ich hatte nicht einmal darüber nachgedacht, obwohl es die Regenfälle in der Sphäre richtig in sich hatten. Ich fühlte mich viel zu sehr eins mit der Natur, als dass ich mich vor ihr hätte in Sicherheit bringen müssen. Der Gedanke, wie wichtig ein Dach über dem Kopf sein konnte, um sich an einem Ort heimisch zu fühlen, war mir erst in der letzten Nacht gekommen, als ich Milas Unwohlsein bemerkt hatte.
    Am besten gefiel mir an der Ruine, die ich ausgesucht hatte, ihre Lage: Sie lag oben auf der Steilküste, genau an jenem Ort, zu dem es mich schon immer hingezogen hatte. Nicht unweit von hier hatten Rufus und ich unser Lagerfeuer angezündet und in trauter Schweigsamkeit aufs Meer geschaut. Nirgendwo anders in St. Martin hatte ich mich so wohlgefühlt. Als hätte ich geahnt, dass dieser Platz der Zugang zu meiner wahren Heimat werden würde.
    Die Ruine musste einst ein Turm gewesen sein, rund gebaut aus massiven Steinbrocken. Das Erdgeschoss war nicht mehr als ein riesiger Raum mit hohen rohen Wänden und viel Licht, das durch die mannshohen Öffnungen, die früher mal Fenster gewesen sein mochten, fiel. An der Stirnseite lag ein Kamin, der jedoch so verschüttet war, dass es mich noch viel Arbeit kosten würde, ihn freizulegen. Dafür hatte ich bereits eine Tür aus Treibholz zusammengeschustert, die aussah wie das Werk eines Neandertalers, aber ihren Zweck erfüllte. Auch ein vorläufiges Schlaflager gab es seit heute Morgen. Es duftete nach getrocknetem Moos und war mit Decken belegt, die Shirin mir überlassen hatte. Es gab auch einen dicken Baumstamm als Bank neben der Tür, denn das Erste, an das ich beim Instandsetzen der Ruine gedacht hatte, war ein Platz zum Draußensitzen gewesen.
    Nachdem ich mit Mila auf dem kleinen Platz, den ich gejätet hatte, gelandet war, blieb sie mit großen Augen vor der Ruine stehen.
    »Es sieht im Moment alles ziemlich wild aus, aber das wird noch.« Umgehend begann ich Mila von meinen Plänen zu berichten, die Ruine soweit instand zu setzen, dass sie uns als Unterschlupf dienen konnte. Was ich mit den Fenstern zu tun gedachte, die im Augenblick nichts anderes als Löcher im Mauerwerk waren. Wie ich die heil gebliebene Hälfte der oberen Etage in ein Schlafzimmer verwandeln wollte, während die offen liegende Hälfte samt Fichte eine Art Dachterrasse werden sollte. Ich plauderte wie ein stolzer Häuslebauer und kam mir dabei ausgesprochen merkwürdig vor. Das hier tat ich eindeutig nur für Mila. Wenigstens sah es ganz danach aus, als ging meine Hoffnung auf.
    »Es ist wunderschön hier.« An Milas Strahlen konnte ich erkennen, dass sie das auch genauso meinte. »Wenn wir beiden uns anstrengen, können wir ein richtig gemütliches Zuhause aus diesen Steinresten machen. Dann bist du auch vor diesem schneidenden Wind geschützt, und es ist doch auch gut, wenn man die Tür hinter sich zuziehen und die Wildnis draußen lassen kann. Ich könnte Reza eine Kletterrose abquatschen, die könnte

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