Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Schmuckstück in die Hand zu nehmen. Ansonsten wäre ich wohl auch nicht mehr lange ihre Freundin geblieben. Ich fühlte mich in diesen Passagen nämlich eher unwohl und wartete bloß darauf, dass sie fertig war und wir uns in das einzige annehmbare Café in dieser Gegend absetzten.
Dabei ging ich eigentlich ganz gern einkaufen, allerdings nur dann, wenn ich ein bestimmtes Ziel im Kopf hatte. Wenn ich einen neuen Rock brauchte, schaute ich bei den Ständen an der Strandpromenade vorbei. Für einen Bilderrahmen ging ich auf den Flohmarkt am Hafen. Und Geburtstagsgeschenke besorgte ich am liebsten bei Soshanna, einer Freundin meiner Mutter, die den unglaublichsten Einrichtungsladen aller Zeiten besaß. Da fand man keinen Fabrikkram wie in den Einkaufspassagen, sondern Sachen aus aller Welt. Neben Sesseln, die aussahen wie Blätter und auf irgendwelchen Kunstausstellungen gestanden hatten, gab es da auch aus Perlensträngen geflochtene Lesezeichen, die sogar ich bezahlen konnte. Lena hingegen sah sich Dinge einfach nur gern an und je mehr es davon gab, um so besser.
»Willst du wirklich wieder Erdbeer-Roibusch-Tee bestellen?«, fragte Lena, als wir endlich in unserem Lieblingscafé saßen. »Dieses Café ist berühmt für seine Tee-Auswahl, aber du bestellst immer nur das Gleiche.«
»Ich finde das ja auch etwas langweilig von mir, aber nachdem du mich zwei Stunden durch die Gegend gezerrt hast, will ich keine Überraschung. Für Russischen Rauchtee oder so habe ich heute einfach nicht die Nerven.«
»Okay, einmal Langeweile für dich, und ich nehme …« Ihr Finger glitt erneut über die lange Liste von Teesorten. Das konnte dauern. Während ich mich in dem nur mäßig besuchten Café mit den dunklen Holzwänden umsah, wanderten meine Gedanken wieder zu Sam. Am letzten Sonntag war so viel passiert und ich konnte gar nicht anders, als es immer wieder vor meinen Augen Revue passieren zu lassen. Alles war so überraschend und verwirrend gewesen, aber auf eine gute Art.
»Lass mich raten, worüber du gerade nachdenkst«, riss eine grinsende Lena mich aus meiner Selbstversunkenheit. Ich kratzte mich verlegen am Nacken und war froh, als die Kellnerin auftauchte, um unsere Bestellung aufzunehmen.
»Wo waren wir noch mal stehen geblieben?« Lena holte ein karamellfarbenes Lipgloss aus der Einkaufstasche und hielt es mir zum Schnuppern hin.
»Riecht lecker, als wäre es was zum Essen.«
»Eigentlich eine spießige Farbe.«
Ich schüttelte entschieden den Kopf. Ein Hauch von Spießigkeit würde Lena mit ihrem schrillen Aussehen guttun. Vielleicht würde es sie sogar dazu inspirieren, die grünen Strähnen in ihrem Haar wieder zu überfärben. Ich mochte ihre Punk-Anleihen zwar, aber Grün auf Hennarot? Das war sogar mir zuviel.
»Na, gut. Ich kann das Lipgloss ja ein paar Mal tragen, auch wenn ich damit bestimmt komisch angeguckt werde. Ist schon ein Bruch in meinem Outfit. Aber eigentlich meinte ich mit ›stehen geblieben‹ ein anderes Thema. Sam wollte dich am Sonntagabend doch noch anrufen. Hat er es gemacht?«
Augenblicklich schoss mir das Blut in die Wangen. Ich presste meine Handrücken auf die brennenden Stellen, was den verlegenen Eindruck, den ich machte, sicher noch verstärkte. Eigentlich hatte ich vorgehabt, heute nicht über Sam zu sprechen. Schließlich hatte ich Lena schon am Sonntag gleich nach Sams Besuch damit heimgesucht und wollte das nicht auch noch an unserem gemeinsamen Nachmittag fortsetzen. Dabei hatte ich nicht bedacht, dass Lena zum einen eine richtig tolle Freundin und entsprechend sensibel war, und zum anderen vermutlich selbst ein wenig aus dem Häuschen war. Nach all den Jahren, in denen sie meine stille Schwärmerei life mitbekommen hatte, konnte auch sie es kaum glauben, dass Sam nicht nur meine Existenz bemerkt, sondern im Garten mit mir Händchen gehalten und mich mit einem Blick angesehen hatte, als würde er gleich die Beherrschung verlieren und mich leidenschaftlich küssen wollen. Und das alles nur drei Tage, nachdem er mich zum ersten Mal angesprochen hatte!
Die Kellnerin brachte unsere Bestellung und ich kippte mir erst einmal den halben Zuckerbecher in den Tee. Lenas Braue schoss wieder nach oben, aber sie verkniff sich jeglichen Kommentar.
»Sam hat tatsächlich angerufen, nur bekomme ich kaum noch zusammen, worüber wir gesprochen haben. Ich war den ganzen Tag völlig durch den Wind. Während des Telefonats kam ich mir vor wie auf Autopilot, aber dafür hat es ganz gut
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